Dr. Andreas Nagel, Dr. Gregor Feiter
Frage:
Die Einführung des beSt erfolgte zum 1.1.2023 und alle initialen Registrierungsbriefe wurden bis zum 17.3.2023 versandt. Ab Zustellung des Registrierungsbriefs unterliegen Angehörige des Berufsstands der Verpflichtung, das beSt einzurichten und es besteht eine aktive Nutzungspflicht für Zustellungen von elektronischen Dokumenten an die Gerichte. Die aktive Nutzungspflicht besteht nach § 52d FGO ab Verfügbarkeit eines sicheren Übermittlungswegs nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO. Einen sicheren Übermittlungsweg in diesem Sinne stellt das beSt dar. Damit besteht die aktive Nutzungspflicht ab Zustellung des Registrierungsbriefs (vgl. die FAQ der BStBK, Stand 5.5.2023).
Ich habe gelesen, dass zwischenzeitlich gerichtliche Entscheidungen vorlägen, wonach die Nutzung des beSt ab dem 1.1.2023 auch dann geboten gewesen sei, wenn ein Steuerberater den Registrierungsbrief noch nicht erhalten hatte. Ist dies zutreffend?
Antwort:
In der Tat liegen bereits (höchstrichterliche) Entscheidungen vor, nach denen Steuerberater ab dem 1.1.2023 zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet waren, bevor sie den Registrierungsbrief erhalten hatten.
Die Richter des 7. Senats des FG Niedersachsen (Urteil v. 20.3.2023, 7 K 183/22, EFG 2023, S. 643, mit kritischer Anmerkung von RiFG Dr. Philipp Böwing-Schmalenbrock) haben entschieden, dass Steuerberater nach § 52d Satz 2 FGO seit dem 1.1.2023 verpflichtet sind, das beSt zu nutzen, da ihnen spätestens ab diesem Zeitpunkt ein sicherer Übertragungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Auf den Erhalt des Registrierungsbriefs oder der Erstanmeldung komme es daher nicht an.
Demgegenüber sind die Richter des 9. Senats des Niedersächsischen FG (Zwischen-Gerichtsbescheid v. 12.5.2023, 9 K 10/23) der Meinung, dass es angemessen erscheine, für den Beginn der Nutzung des beSt auf den Zeitpunkt der Versendung der letzten Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen System-Roll-outs zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt abzustellen.
Das Hessische FG (Beschluss v. 21.3.2023, 10 V 67/23, EFG 2023, S. 649) hat in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung die Auffassung vertreten, dass einem Steuerberater ein sicherer Übertragungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO erst dann i. S. v. § 52d Satz 2 FGO zur Verfügung stehe, wenn er von der BStBK einen Registrierungstoken für die Steuerberaterplattform erhalten habe. Während die Möglichkeit der Identifizierung und Authentifizierung in der Sphäre des jeweiligen Steuerberaters liege, sei diesem vor der Übermittlung des Registrierungstokens aus allein in der hoheitlichen Sphäre des Betreibers der technischen Infrastruktur liegenden Gründen unmöglich gewesen, die Erstanmeldung am beSt vorzunehmen.
Das FG Münster (Zwischen-Gerichtsbescheid v. 14.4.2023, 7 K 86/23 E, BB 2023, S. 996, Revision zugelassen) sieht die Sache genauso. Erst mit dem Erhalt der notwendigen Registrierungsangaben für die Steuerberaterplattform und der damit einhergehenden Anmeldung zum beSt stehe dem Steuerberater ein sicherer Übermittlungsweg i. S. d. § 52d Satz 2 FGO "zur Verfügung". Ein früherer Beginn der aktiven Nutzungspflicht ergebe sich nicht aus der Möglichkeit, den Versand der Registrierungsaufforderung durch einen sog. "Fast-Lane-Antrag" zu beschleunigen.
Bei der Auslegung jeder Verfahrensvorschrift sei grundsätzlich einer rechtsschutzgewährenden Auslegung der Vorzug zu geben, die im Zweifel zur Annahme eines zulässigen Rechtsbehelfs führe. Eine Auslegung von Verfahrensvorschriften dürfe insbesondere nicht dazu führen, dass das Beschreiten des eröffneten Rechtswegs in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werde. Mit diesen Grundsätzen wäre eine generelle aktive Nutzungspflicht ab dem 1.1.2023 nicht vereinbar, da von den Steuerberatern in Einzelfällen etwas faktisch Unmögliches gefordert würde. Dies wäre im Ergebnis unzumutbar und aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen i. S. d. Rechtsprechung des BVerfG zur rechtsschutzgewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 GG.
Der BFH (Beschluss v. 28.4.2023, XI B 101/22, BB 2023, S. 1046) hat in einem Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision entschieden, dass Steuerberatern seit dem 1.1.2023 mit dem beSt ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht, sodass sie in finanzgerichtlichen Verfahren seit diesem Zeitpunkt vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente übermitteln müssten. Beantrage ein Steuerberater wegen Nichtnutzung des beSt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, müsse er darlegen, weshalb er nicht von der Möglichkeit der Priorisierung seiner Registrierung (sog. Fast lane) Gebrauch gemacht habe.
Vorliegend sei die Möglichkeit der Nutzung der "Fast lane" für Berufsträger, die aktiv in die finanzgerichtliche Kommunikation eingebunden seien, dem Steuerberater bekannt gewesen. Aufgrund des BFH-Beschlusses v. 27.4.2022 (XI B 8/22, BFH/NV 2022, S. 57, Rz. 9) habe ihm außerdem bewusst se...