Dipl.-Finanzwirt Werner Becker, Simon Beyme
Zusammenfassung
Es gibt kaum ein Steuerberatungsmandat, das nur den Mandanten selbst betrifft. Regelmäßig hat ein Mandat Auswirkungen auch auf Dritte. Dies können die Ehe-/Lebenspartner, die Familienangehörigen, Mitgesellschafter, Kreditgeber und weitere Betroffene sein. Selbst wenn diese Dritten keine Ihrer Mandanten sind, können sie gegen Sie Ansprüche aufgrund fehlerhafter Beratung haben. Für Sie als Steuerberater sind die Konstellationen einer solchen Dritthaftung und die Identität der Personen, die hieraus gegen Sie Ansprüche geltend machen, im Voraus oft nicht klar erkennbar. Hinzu kommt die Gefahr, dass zwar gegenüber einer Vielzahl von Anspruchstellern gehaftet wird, versicherungsrechtlich aber u. U. nur ein einziger Haftungsfall vorliegt, also die Versicherungssumme nur ein einziges Mal zur Verfügung steht. Herr Becker klärt anhand eines aktuellen Urteils auf.
1 Kosten: Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Eine Haftung des Steuerberaters gegenüber Dritten kann sich vor allem aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergeben. Der BGH hat sich in den vergangenen Jahren vermehrt mit den Kriterien des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beschäftigt und auch zu den Auslegungskriterien Stellung genommen: Die Frage, ob ein bestimmter Dritter im Einzelfall in den Schutzbereich eines Vertrags einbezogen ist, sei zunächst eine Frage der Auslegung und insoweit vom Tatrichter zu entscheiden. In der Entscheidung seien gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze zu berücksichtigen. Wesentlicher Auslegungsstoff dürfe nicht außer Acht gelassen werden (BGH, Urteil v. 9.7.2020, IX ZR 289/19, NJW 2020, S. 3169; BGH, Urteil v. 10.12.2015, IX ZR 56/15, DStR 2016, S. 887).
Auch das LG Paderborn hatte sich vor nicht allzu langer Zeit mit Schadensersatzansprüchen aus Steuerberaterhaftung aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu befassen (Urteil v. 22.10.2021, 2 O 78/21, DStR 2023, S. 1903). Dabei ging es um Folgendes:
Steuerberaterin erstellte unzutreffende Jahresabschlüsse
Die beiden Kläger waren Gesellschafter einer GmbH und hatten der Steuerberaterin S u. a. den Auftrag erteilt, die Buchhaltung und Jahresabschlüsse der GmbH für die Jahre 2016 bis 2018 zu erstellen. S erstellte im Juli 2017 den Jahresabschluss der GmbH zum 31.12.2016, dessen Gewinn- und Verlustrechnung ein positives Jahresergebnis auswies. Zudem bescheinigte S, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der handelsrechtlichen Vorschriften und der ergänzenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags erstellt worden sei.
Im November 2018 erstellte S den Jahresabschluss zum 31.12.2017, dessen Gewinn- und Verlustrechnung erneut ein positives Jahresergebnis auswies und der die o. g. Bescheinigung ebenfalls beinhaltete. Auch am 31.12.2018 wies die von S erstellte Finanzbuchhaltung ein positives Jahresergebnis aus.
Im März 2018 und Februar 2019 verbürgten die Kläger sich für Bankverbindlichkeiten der GmbH i. H. v. insgesamt 150.000 EUR. Sie wurden im August 2019 von der Gläubigerbank aus den Bürgschaftsverträgen auf Zahlung in Anspruch genommen. Mit Beschluss vom 1.11.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Die in der Folge vorgenommene Prüfung der genannten Jahresabschlüsse und der Finanzbuchhaltung ergab, dass die GmbH in den Jahresabschlüssen der Jahre 2016 bis 2018 fälschlich ein Mehrergebnis i. H. v. insgesamt 303.753 EUR ausgewiesen haben soll.
Die Kläger machten mit der Haftungsklage Schadensersatzansprüche gegenüber S aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geltend und forderten in Höhe der auf die Bürgschaften geleisteten Summen Schadensersatz. Sie trugen vor, dass S fehlerhafte Jahresabschlüsse und Finanzbuchhaltungen erstellt habe, die eine unzutreffende wirtschaftliche Lage der GmbH ausgewiesen hätten.
Wären die Jahresabschlüsse und Finanzbuchhaltungen zutreffend erstellt worden, hätten die Kläger erkannt, dass sich die GmbH in einer wirtschaftlichen Krise befunden hätte. Eine Bürgschaftserteilung hätten sie dann nicht vorgenommen.
LG Paderborn weist Klage ab
Das LG hat geurteilt, dass den Klägern kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1, § 631 ff. BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zusteht. Der zwischen der Beklagten und der GmbH geschlossene Steuerberatungsvertrag stellt einen Dienstvertrag i. S. d. §§ 611 ff. BGB dar, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat.
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht gegeben
Die Kläger seien mangels Erkennbarkeit der Drittbezogenheit für S und aufgrund fehlender Schutzbedürftigkeit der Kläger nicht in den Schutzbereich des zwischen S und der GmbH bestehenden Schuldverhältnisses einbezogen. Der Anspruch aus dem gesetzlich nicht geregelten Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setze nach Auffassung des BGH (Beschluss v. 19.9.2017, XI ZB 17/15, NJW 2017, S. 3777) 4 Merkmale voraus:
4 Merkmale für den Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugun...