Leitsatz
1. Kommt ein nach § 18 GrEStG zu einer Anzeige Verpflichteter seiner Anzeigepflicht durch eine den Anforderungen des § 20 GrEStG entsprechende Anzeige an das zuständige FA nach, wird der Beginn der Festsetzungs-/Feststellungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht dadurch weiter hinausgeschoben, dass für denselben Rechtsvorgang nach § 19 GrEStG Anzeigeverpflichtete ihre Anzeigepflicht nicht erfüllt haben.
2. Die Aussage im Urteil vom 16.2.1994, II R 125/90 (BStBl II 1994, 866), § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO stelle nur auf solche Anzeigen ab, zu deren Erstattung der Steuerpflichtige verpflichtet ist, nicht aber auch auf solche, die von vom Steuerpflichtigen unabhängigen Dritten abzugeben sind, ist auf Sachverhalte beschränkt, in denen eine alleinige Anzeigepflicht der Gerichte, Behörden und Notare besteht.
Normenkette
§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG , § 17 Abs. 2 und Abs. 3 GrEStG , § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG , § 19 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG , § 44 Abs. 1 AO , § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO , § 181 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin veräußerte durch notariell beurkundeten Vertrag im Juli 1991 an einen Käufer sämtliche Anteile an einer grundbesitzenden GmbH. Weder die Klägerin noch der Käufer zeigten den Vorgang an. Ob der Notar seiner Anzeigepflicht nachgekommen ist, ist vom FG nicht festgestellt worden. Der Käufer fiel Ende 1997 in Konkurs.
Im Juli 1998 erließ das FA gegen die Klägerin einen Feststellungsbescheid nach § 17 GrEStG. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend gemacht hatte, es sei bereits Feststellungsverjährung eingetreten, weil der Notar den Vorgang noch 1991 angezeigt habe, blieben erfolglos. Das FG war der Ansicht, es könne offen bleiben, ob der Notar seine Anzeigepflicht erfüllt habe, weil seine etwaige Anzeige ohnehin keinen Einfluss auf den Beginn der Feststellungsfrist gehabt hätte.
Entscheidung
Der BFH widersprach dem. Der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO bedarf für den Fall nebeneinander bestehender Anzeigepflichten nach § 18 und § 19 GrEStG einer an seinem Sicherungszweck ausgerichteten einschränkenden Auslegung. Dieser Sicherungszweck rechtfertigt keine weitere Hemmung des Anlaufs der Feststellungs-/Festsetzungsfrist zulasten des Steuerpflichtigen mehr, wenn der Rechtsvorgang dem FA bereits durch einen nach § 18 GrEStG Anzeigepflichtigen angezeigt worden ist. Dabei ist unerheblich, dass die Anzeigen der Gerichte, Behörden und Notare gem. § 18 GrEStG keine Steuererklärungen i.S.d. AO sind, weil es an einer dem § 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG entsprechenden Regelung fehlt.
Hinweis
Die Bedeutung des Streitfalls ergibt sich aus dem 2. Leitsatz. Sie liegt in der Ausräumung eines Missverständnisses.
Es ist zu unterscheiden, ob die Anzeigepflicht wie vielfach im Bereich des ErbStG (vgl. § 30 Abs. 3 ErbStG)nur die Gerichte, Behörden und Notare trifft oder ob daneben wie regelmäßig im Bereich des GrEStG (Ausnahmen: § 19 Abs. 1 Satz 2 und – je nachdem – Abs. 2 GrEStG)auch die Steuerschuldner selbst anzeigepflichtig sind. Nur dann, wenn ausschließlich Gerichte, Behörden und Notare anzeigepflichtig sind, ist deren Anzeige aus den im Urteil des BFH vom 16.2.1994, II R 125/90 genannten Gründen ohne Bedeutung für den Beginn der Festsetzungs-/Feststellungsfrist und bleibt es beim Fristbeginn nach der Grundregel des § 170 Abs. 1 AO, wonach die Frist mit Ablauf des Jahrs der Steuerentstehung beginnt. Insoweit scheidet eine Anlaufhemmung nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift von vornherein aus und es kommt lediglich für den Bereich des ErbStG eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 5 AO in Betracht (vgl. zum Verhältnis der Abs. 1, 2 Nrn. 1 und 5 des § 170 AO das BFH-Urteil vom 5.2.2003, II R 22/01, BFH-PR 2003, 313).
Einfluss auf den Beginn der Frist gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO haben eine Anzeigepflicht der Gerichte, Behörden und Notare sowie deren Erfüllung dagegen, wenn die Anzeigepflicht neben einer solchen der Steuerschuldner besteht, weil dann die Erfüllung der Anzeigepflicht durch die Gerichte, Behörden und Notare geeignet ist, zugunsten der Steuerschuldner die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO zu beenden und den Fristanlauf auszulösen, und zwar dann, wenn sie mit ihrer Anzeige einer solchen der Steuerschuldner zuvorkommen oder die Steuerschuldner eine Anzeige unterlassen haben.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.7.2005, II R 9/04