Leitsatz
1. Der bei einer Konkurrentenklage beigeladene Steuerpflichtige ist Dritter im Sinne des § 86 Abs. 1 FGO, wobei die Offenbarung durch das Steuergeheimnis geschützter Daten im Rahmen von § 30 Abs. 4 Nr. 1 der Abgabenordnung zulässig ist, wenn dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt wird.
2. Bei einer Konkurrentenklage gegen die Steuersatzermäßigung der Umsätze eines gemeinnützigen Steuerpflichtigen sind Akten nach § 86 Abs. 1 FGO nur insoweit vorzulegen, als § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes eine drittschützende Wirkung – wie etwa in Bezug auf das Vorliegen eines Zweckbetriebs oder die in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen – zukommt.
Normenkette
§ 86 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 FGO, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG
Sachverhalt
Die Klägerin, ein gewerbliches Unternehmen, betreibt eine Wäscherei und erbringt dem Regelsteuersatz unterliegende Leistungen an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Empfänger wie z.B. Krankenhäuser. Die Klägerin beantragte beim FA einer gemeinnützigen Körperschaft, dieser die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG für den von ihr als Zweckbetrieb (§ 68 Nr. 3 Buchst. c AO) geführten Wäschereibetrieb zu versagen. Das FA lehnte diesen Antrag ab und wies den Einspruch zurück. Im Klageverfahren wurde die gemeinnützige Körperschaft beigeladen. Das FG verlangte vom FA die Vorlage bestimmter Steuerakten. Dem kam das FA nur teilweise nach, worauf die Klägerin einen Feststellungsantrag nach § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO stellte.
Entscheidung
Der BFH stellte fest, dass die Verweigerung der Aktenvorlage teilweise rechtswidrig war, und ordnete nach Beiladung des zuständigen Landesfinanzministeriums die Vorlage einzelner Akten an, die die Bejahung der Zweckbetriebseigenschaft und die Anwendung von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG betreffen. Weitere Aktenbestandteile waren in Bezug auf die Frage vorzulegen, ob von einem zulässigen Einspruch auszugehen ist.
Hinweis
1. Die durch § 86 Abs. 1 FGO zulasten des FA begründete Verpflichtung zur Aktenvorlage wird begrenzt durch den Schutz des Steuergeheimnisses, das zugunsten Dritter auch hier zu wahren ist. Dem kommt im Fall einer Konkurrentenklage, bei der sich ein Wettbewerber gegen die von ihm als zu niedrig empfundene Besteuerung des Steuerpflichtigen wendet, besondere Bedeutung zu.
2. Da der Steuerpflichtige zur Konkurrentenklage des Wettbewerbers beizuladen ist, stellt sich im Hinblick auf diese Beiladung, die ihn zum Beteiligten des Verfahrens macht, die Frage, ob er noch als Dritter i.S.v. § 86 Abs. 1 FGO anzusehen ist. Der BFH bejaht dies, da der Wettbewerber ansonsten bei einer zulässigen Konkurrentenklage einen fast einschränkungslosen Zugriff auf die durch das Steuergeheimnis geschützten Geschäftsgeheimnisse des Steuerpflichtigen hätte. Der BFH verweist hierzu auf seine Rechtsprechung, nach der im Fall einer Konkurrentenklage die durch das Steuergeheimnis geschützten Verhältnisse des Steuerpflichtigen nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO offenbart werden dürfen, und überträgt dies auf die Vorlageverpflichtung nach § 86 Abs. 1 FGO. Eine Vorlageverpflichtung besteht somit nur im Umfang eines unmittelbaren funktionalen Zusammenhangs zwischen Offenbarung und Verfahrensdurchführung, wobei zudem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren ist.
3. Wendet sich der Konkurrent gegen die Steuerbegünstigung einer gemeinnützigen Körperschaft, kommt danach eine Aktenvorlage nur insoweit in Betracht, als es um die Anwendung von Vorschriften mit einem drittschützenden Charakter geht. Dies trifft auf die Vorschriften zu den Zweckbetrieben, nicht aber auch auf die §§ 51 bis 63 AO zu. Drittschützenden Charakter hat zudem § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG.
4. Verweigert das FA ganz oder teilweise die Vorlage vom FG angeforderter Akten, kann der Kläger beim BFH gemäß § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO einen sog. In-camera-Antrag stellen, mit dem der BFH feststellen soll, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtswidrig ist. Ist der Feststellungsantrag (insbesondere im Hinblick auf eine in Bezug auf das Konkurrenzverhältnis zulässig erhobene Feststellungsklage) als zulässig anzusehen, wird die oberste Aufsichtsbehörde und damit das Landesfinanzministerium zum Feststellungsverfahren beigeladen und zur Aktenvorlage aufgefordert.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 29.5.2024 – V S 15/22