Zweckbetriebsvoraussetzungen beim Verkauf von Hilfsmitteln für Blinde
Hintergrund: Handel mit Waren für Blinde
Die gewerblich tätige A-GbR betreibt im Wesentlichen den Handel mit Waren und die Erbringung von Dienstleistungen für blinde und sehbehinderte Menschen. Ihre Umsätze unterliegen dem Regelsteuersatz.
Der eingetragene gemeinnützige Verein V vertritt als Selbsthilfeorganisation die Interessen von blinden und stark sehbehinderten Menschen. In diesem Zusammenhang verkauft er – ebenso wie die A – Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen über ein Ladengeschäft, auf Messen und über das Internet. Außerdem berät V blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen sowie deren Angehörige zu Hilfsmitteln und stellt Hilfsmittel bereit.
Das FA besteuerte die Umsätze des V nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG mit dem ermäßigten Steuersatz (7 %). Es sah die Tätigkeit des V nicht als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb an, sondern als Zweckbetrieb i.S. von § 66 Abs. 1 AO (Einrichtung der Wohlfahrtspflege). Dagegen erhob A Klage zum FG mit dem Antrag, das FA zu verpflichten, die Umsätze des V ebenfalls dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, die Wettbewerbsverzerrung sei zur Verwirklichung der steuerbegünstigten Zwecke des V unvermeidbar (§ 65 Nr. 3 AO).
Entscheidung: Begünstigung fürsorgeorientierter Hilfe
Auf die Revision der A hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der Verkauf von Waren ist grundsätzlich eine typische Handelstätigkeit, die nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs i.S. von § 68 Nr. 4 AO (Fürsorge für blinde Menschen) erfüllt. Der Verkauf von Hilfsmitteln für blinde oder sehbehinderte Menschen über ein Ladengeschäft kann jedoch ein Zweckbetrieb sein, wenn über eine im Einzelhandel übliche reine Produktberatung hinaus weitere fürsorgeorientierte Hilfestellungen erforderlich sind.
Rechtslage
Bei V handelt es sich zwar um eine Körperschaft, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt (§ 12 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 UStG). Allerdings gilt die Steuersatzermäßigung nach Satz 2 nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden. Demnach erfordert die Steuersatzermäßigung, dass gemäß § 64 Abs. 1 AO ein Zweckbetrieb i.S. der §§ 65 bis 68 AO vorliegen muss. Diesen hat das FG fehlerhaft bejaht.
Zweckbetrieb
Die steuerliche Begünstigung nach § 68 Nr. 4 AO erfordert, dass sich die Einrichtung in ihrer Gesamtrichtung als Zweckbetrieb darstellt. Sie muss erkennbar darauf abzielen, die satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen und diesen zu dienen. Somit setzt die Durchführung der Fürsorge i.S.v. § 68 Nr. 4 AO bei V voraus, dass er als Selbsthilfeorganisation die Interessen von blinden oder wesentlich sehbehinderten Menschen vertritt und durch entsprechende Beratung deren medizinische Versorgung und soziale Stellung verbessert. Der bloße Verkauf im Ladengeschäft oder über das Internet im Sinne einer typischen Handelstätigkeit, die nur mit einer üblichen, produkt- und anwendungsbezogenen Beratung einhergeht, wie sie im Facheinzelhandel allgemein üblich ist, genügt dafür nicht.
Begünstigte Verkaufstätigkeiten
Im Unterschied zum reinen Verkauf können Verkaufstätigkeiten aber dann dem Fürsorgezweck des § 68 Nr. 4 AO entsprechen und die steuerbegünstigten Satzungszwecke des V verwirklichen, wenn z.B. neu erblindeten Personen neben einer reinen Produktberatung weitere fürsorgeorientierte‑ Hilfestellungen gegeben werden oder wenn Verkaufstätigkeiten im Zusammenhang mit einem unentgeltlichen Kursangebot zur Förderung der gemeinnützigen Tätigkeit stehen.
Zurückverweisung an das FG
Das FG hat die Art der Beratungen bei Verkäufen über das Ladengeschäft festzustellen, Eine Aufteilung in einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb und einen steuerschädlichen Teil des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs scheidet aus, wenn die Verkaufstätigkeiten nicht trennbar sind (BFH v. 4.6.2003, I R 25/02, BStBl II 2004, S. 660, Rz .18). Es kann dann auf den überwiegenden Charakter der Tätigkeiten abzustellen sein, wobei nicht durch Fürsorgegesichtspunkte geprägte Verkaufstätigkeiten von weniger als einem Drittel unbeachtlich sein können (§ 66 Abs. 3 Satz 1 AO).
Hinweis: Zulässige Konkurrentenklage
Mit der Konkurrentenklage macht der Steuerpflichtige geltend, sein Wettbewerber werde zu niedrig besteuert und sei daher im Wettbewerb begünstigt. Der Kläger hat das Konkurrenzverhältnis und die Wettbewerbsrelevanz einer Nichtbesteuerung detailliert darzulegen. Er muss das Wettbewerbsverhältnis hinsichtlich Kundenkreis und Güterangebot und die Auswirkungen der Nichtbesteuerung etwa durch günstigere Preise des Konkurrenten beschreiben (BFH v. 18.8.2022, V R 49/19, noch nicht amtlich veröffentlicht). Im Streitfall macht die A-GbR geltend, dass die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die wirtschaftliche Tätigkeit des V ihr Recht auf Teilnahme an einem steuerrechtlich nicht zu ihrem Nachteil verfälschten Wettbewerb beeinträchtige. Denn ihr Unternehmensgegenstand decke sich mit dem des V und die Unternehmen seien auch in demselben räumlichen und sachlichen Markt tätig.
BFH Urteil vom 17.11.2022 - V R 12/20 (veröffentlicht am 02.02.2023)
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