Leitsatz
Einzelne Vorsteuerbeträge begründen keinen Vergütungsanspruch, sondern sind unselbstständige Besteuerungsgrundlagen, die bei der Berechnung der USt mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung der USt eingehen. Aus einer USt-Voranmeldung für einen Besteuerungszeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die zu einer Steuerschuld führt, können daher einzelne Vorsteuerabzugsbeträge aus Leistungen, die vor Insolvenzeröffnung erbracht worden sind, nicht ausgeschieden und durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden.
Normenkette
§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 387 BGB, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG
Sachverhalt
Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wurde für den Schuldner eine USt-Voranmeldung abgegeben, aus der sich ein Schuldsaldo von 10.000 € ergab. In den Voranmeldungszeitraum fiel jedoch ein Vorsteuerabzugsbetrag von 5.000 € aus der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Gegen diesen Betrag rechnete das FA vorinsolvenzliche Steuerschulden auf.
Entscheidung
Die Aufrechnung geht ins Leere, der angefochtene Abrechnungsbescheid ist demgemäß fehlerhaft, weil ein Erstattungsanspruch des Schuldners gar nicht entstanden ist (der Saldo von Umsatz- und Vorsteuer war nicht negativ). Mit dem Vorsteuerbetrag als solchem kann nicht aufgerechnet werden.
Hinweis
Das Recht auf Vorsteuerabzug ist kein selbstständiger Anspruch, sondern der Vorsteuerbetrag lediglich ein Rechnungsposten bei der Festsetzung der USt bzw. der USt-Vorauszahlungen (§ 16 Abs. 1 UStG). Deshalb kann gegen einzelne Vorsteuerbeträge nicht aufgerechnet werden.
Gilt dies aber auch dann, wenn es um die Aufrechnung im Insolvenzverfahren geht, in dem nach der Rechtsprechung des BFH ja grundsätzlich für eine Aufrechnung nicht verlangt wird, dass die Forderungen steuerverfahrensrechtlich entstanden sind, es genügt, dass sie im Sinn des – eigenständig, insolvenzrechtlich auszulegenden – § 38 InsO vor Verfahrenseröffnung "begründet" gewesen sind.
Werden dadurch auch die vor Verfahrenseröffnung entstandenen abziehbaren Vorsteuerbeträge gleichsam insolvenzrechtlich verselbstständigt und aufrechenbar? Oder ist eine Aufrechnung allenfalls möglich, wenn sich nach Saldierung der berechneten Steuer und der Vorsteuern ein negativer Saldo (Erstattungsbetrag) ergibt? Letzteres meint der BFH überraschenderweise; das USt-Recht (Saldierung) habe Vorrang vor dem Insolvenzrecht (was der BFH bisher genau umgekehrt gesehen hat und mit insolvenzrechtlichen Erwägungen nicht begründbar ist).
Der BFH will im Übrigen sogar den Erstattungsbetrag allein danach aufteilen, ob die in ihm zum Ausdruck kommenden Vorsteuern auf die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (insoweit aufrechenbar) oder auf die Zeit danach (insoweit gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht aufrechenbar) entfallen (siehe dazu BFH, Urteil vom 16.11.2004, VII R 75/03, BFH-PR 2005, 277). Eine entsprechende Aufteilung der USt in solche Beträge, die vor und solche die nach Insolvenzeröffnung begründet worden sind, also eine echte insolvenzrechtliche Schattenveranlagung soll unterbleiben.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.1.2007, VII R 4/06