BMF, Schreiben vom 27.1.2021, IV A 3 - S 0550/20/10008 :001 (DOK 2021/0076958), BStBl I 2021, 152
Bezug: TOP 8 der Sitzung AO IV/2020
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Entscheidung über einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan Folgendes:
1. Anwendungsbereich
Bevor ein Schuldner einen Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens stellen kann, muss er versuchen, eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung herbei zu führen (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
Die nachfolgenden Regelungen gelten für ein solches außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren.
Das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren findet Anwendung auf natürliche Personen, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben; nur sie können das Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO beantragen. Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausgeübt haben, gehören dazu, wenn ihre Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen sie keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Überschaubar sind Vermögensverhältnisse, wenn der Schuldner zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird, weniger als 20 Gläubiger hat. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen sind nicht nur die Ansprüche der ehemaligen Arbeitnehmer selbst, sondern auch die Forderungen von Sozialversicherungsträgern und Finanzbehörden (z. B. Lohnsteuerforderungen einschließlich Lohnsteuerhaftungsansprüche).
Zu den Verbindlichkeiten, die in eine außergerichtliche Schuldenbereinigung einbezogen werden können, gehören grundsätzlich auch Haftungsschulden des Schuldners (z. B. Umsatzsteuerhaftungsansprüche). Ist der Antrag nicht eindeutig bezeichnet, kann es ein starkes Indiz für einen Einigungsversuch des Schuldners im Rahmen eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens im Vorfeld eines Verbraucherinsolvenzverfahrens sein, wenn sich eine nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO geeignete Person oder Stelle mit dem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch an die Finanzbehörde wendet oder diesen zumindest begleitet.
Die zur Bescheinigung eines erfolglosen außergerichtlichen Einigungsversuchs geeignete Person oder Stelle muss den Einigungsversuch aber nicht zwingend selbst durchgeführt haben.
2. Verfahren
Die außergerichtliche Schuldenbereinigung erfolgt im Wege von freigestalteten Verhandlungen auf der Grundlage eines vorzulegenden Planes.
Als Rechtsgrundlage für einen Verzicht auf Abgabenforderungen kann jedoch nur das Abgabenrecht unter Einbeziehung der Zielsetzung der Insolvenzordnung herangezogen werden (BFH vom 26.10.2011, VII R 50/10). Die Frage, ob die Finanzbehörde einem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan zustimmen kann, ist deshalb nach den gesetzlichen Bestimmungen der AO über die abweichende Festsetzung (§ 163 AO), die Stundung (§ 222 AO), den Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) sowie den Erlass (§ 227 AO) zu beurteilen. Zu den Gesichtspunkten, die in die Ermessenserwägungen einzubeziehen sind, gehört im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren zusätzlich die Zielsetzung der Insolvenzordnung, redlichen Schuldnern unter Einbeziehung sämtlicher Gläubiger eine Schuldenbereinigung als Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen.
Sachliche Billigkeitsgründe werden vom außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren nicht berührt und sind daher vorab zu berücksichtigen.
Da nach den Intentionen des Gesetzgebers für einen Verzicht nur persönliche Billigkeitsgründe in Betracht kommen, setzt eine Maßnahme nach §§ 163, 227 AO voraus, dass der Schuldner erlassbedürftig und -würdig ist. Die Auslegung des Begriffs „persönliche Unbilligkeit” hat sich hierbei an der Zielsetzung der Insolvenzordnung zu orientieren. Wegen der angestrebten Schuldenbereinigung unter Beteiligung sämtlicher Gläubiger ist bei der Anwendung der §§ 163, 227 AO im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren zu beachten, dass der Begriff „persönliche Unbilligkeit” in diesem Verfahren anders als in anderen Billigkeitsverfahren nach der AO definiert ist. Das bedeutet, dass die Rechtsprechung zu §§ 163, 227 AO insoweit nicht uneingeschränkt angewendet werden kann.
Bei der Zustimmung oder Ablehnung eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes durch die Finanzbehörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt.
Zustimmung
Hat die Prüfung des Antrags ergeben, dass der Schuldner dem Grunde nach erlassbedürftig ist und im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren erlasswürdig ist, kann der Erlass im Hinblick auf § 287a InsO zunächst nur verbindlich für den Fall in Aussicht gestellt werden, dass alle erforderlichen Bedingungen erfüllt werden.
Dies ist z. B. der Fall, wenn
- die übrigen Gläubiger noch nicht zugestimmt haben,
- der Schuldner noch eine Teilzahlung oder Ratenzahlungen zu leisten hat,
- Zahlungseingänge durch Verwertung u. a. von Pfandrechten, Sicherheiten oder Inanspruchnahme Drit...