Leitsatz
1. Der (Einkommen‐)Steuerbescheid ist nicht dem ehemaligen Insolvenzschuldner, sondern dem Insolvenzverwalter/Treuhänder als Inhaltsadressaten bekannt zu geben, wenn wegen des Einkommensteuererstattungsanspruchs die Nachtragsverteilung angeordnet worden ist.
2. Die zugunsten des Insolvenzverwalters festgesetzte Tätigkeitsvergütung ist beim Insolvenzschuldner nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 33 Abs. 1 EStG, § 80 Abs. 1, § 200, § 203 InsO, § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenztreuhänder im Rahmen einer vom Insolvenzgericht angeordneten Nachtragsverteilung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des X (Insolvenzschuldner). Für das Insolvenzverfahren stand dem Kläger eine Vergütung i.H.v. ca. 3.700 EUR zu. Das Amtsgericht gestattete ihm, diesen Betrag der treuhänderisch verwalteten Masse zu entnehmen. Nach Vollzug der Schlussverteilung hob das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren gemäß § 200 InsO auf und kündigte dem Insolvenzschuldner Restschuldbefreiung an. Bezüglich der ESt-Erstattungsansprüche, bei denen der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor und/oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden war, ordnete das Insolvenzgericht von Amts wegen die Nachtragsverteilung nach § 203 InsO an. Gleichzeitig ermächtigte es den Kläger als zukünftigen Wohlverhaltenstreuhänder, entsprechend notwendige Aufträge zu erteilen und Rechnungen zu begleichen sowie zugeflossene Gelder im Wege der jährlichen Ausschüttung im Anschluss an das Tätigkeitsjahr zu verteilen. Aufgrund dessen reichte der Kläger für den Insolvenzschuldner die ESt-Erklärung für das Streitjahr beim FA ein. Darin machte er die Insolvenzverwaltervergütung als außergewöhnliche Belastung geltend. Dem folgte das FA bei Erlass des ESt-Bescheids nicht. Die daraufhin erhobene Klage wies das FG ab (FG Münster, Urteil vom 4.9.2018, 11 K 1108/17 E, Haufe-Index 12407183, EFG 2018, 2044).
Entscheidung
Die Revision des Klägers hat der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen ausgeführten Gründen zurückgewiesen.
Hinweis
1. Nach § 80 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Damit erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Mit Beendigung eines Insolvenzverfahrens entfällt neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters.
2. Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO), jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1 und 2 InsO), bleibt die Insolvenzbeschlagnahme i.S.d. § 80 Abs. 1 InsO fortbestehen, sodass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis insoweit (umfassend) beim (früheren) Insolvenzverwalter verbleibt (z.B. BFH, Urteil vom 23.9.2020, XI R 1/19, BFH/NV 2021, 469).
3. Daher bleibt der Insolvenzverwalter/Treuhänder nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in einem solchen Fall befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen. Außerdem ist die der Nachtragsverteilung unterfallende ESt weiterhin gegenüber dem Insolvenzverwalter/Treuhänder festzusetzen.
4. Folglich sind (ESt‐)Steuerbescheide während des Nachtragsverteilungsverfahrens nicht an den ehemaligen Insolvenzschuldner, sondern an den Insolvenzverwalter/Treuhänder zu richten und – wie im Streitfall – diesem gegenüber bekannt zu geben, sofern der begründende Sachverhalt – wie hier – während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (vgl. BFH, Urteil vom 3.8.2016, X R 25/14, BFH/NV 2017, 317; BFH, Urteil vom 6.7.2011, II R 34/10, BFH/NV 2012, 10).
Aufgabe der entgegenstehenden Rechtsprechung
Auf Anfrage des erkennenden VI. Senats des BFH hat der VII. Senat des BFH mitgeteilt, dass er an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung, wonach der festsetzende Teil des ESt-Bescheids trotz der Anordnung einer Nachtragsverteilung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens dem ehemaligen Insolvenzschuldner gegenüber bekannt zu geben ist (BFH, Urteil vom 20.9.2016, VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442), nicht länger festhält.
5. In materiell-rechtlicher Hinsicht hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die streitbefangene Insolvenzverwaltervergütung nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Abs. 1 EStG steuermindernd zu berücksichtigen ist.
a) Zwar sind dem Insolvenzschuldner – entgegen der Auffassung des FG – dahin gehende Aufwendungen entstanden, denn vorliegend ist die Insolvenzverwaltervergütung aus den Guthaben auf den zur Abwicklung des Insolvenzverfahrens eingerichteten offenen (Treuhand‐)Konten beglichen worden. Steuerlich ist dieses treuhänderisch gebundene Guthaben (...