Dipl.-Finw. (FH) Thomas Rupp
Tz. 74
Stand: EL 77 – ET: 04/2013
Art 9 OECD-MA hat folgenden Wortlaut:
(1) Wenn
a) |
ein Unternehmen eines Vertragsstaats unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kap eines Unternehmens des anderen Vertragsstaats beteiligt ist oder |
b) |
dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kap eines Unternehmens eines Vertragsstaats und eines Unternehmens des anderen Vertragsstaats beteiligt sind und in diesen Fällen die beiden Unternehmen in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden, so dürfen die Gewinne, die eines der Unternehmen ohne diese Bedingungen erzielt hätte, wegen dieser Bedingungen aber nicht erzielt hat, den Gewinnen dieses Unternehmens zugerechnet und entspr besteuert werden. |
D hat eine Art 9 Abs 1 OECD-MA entspr Regelung in den meisten abgeschlossenen DBA vereinbart. Dieser Abs befasst sich mit verbundenen Unternehmen (MG und TG sowie Gesellschaften unter gemeinsamer Kontrolle). Er sieht vor, dass in bestimmten Fällen die St-Beh eines Vertragsstaats zur St-Ermittlung die ausgewiesenen Gewinne berichtigen dürfen, wenn wegen der besonderen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen die Bücher nicht die tats entstandenen Gewinne ausweisen.
Eine Berichtigung ist allerdings nur soweit möglich, als zwischen den beiden Unternehmen Bedingungen vereinbart oder auferlegt worden sind. Eine Berichtigung ist aber nicht zulässig, wenn die Geschäfte zwischen diesen Unternehmen unter den Bedingungen des freien Marktes (Arm’s-length-Prinzip) abgewickelt worden sind.
Da die DBA nur Schrankenwirkung haben und nicht selbst konstitutiv wirken, erfolgt die Anwendung des Fremdverhaltensgrundsatzes iR der og nationalen Normen, dh insbes über § 1 AStG bzw § 8 Abs 3 KStG (vGA). Zur Frage einer Sperrwirkung der Korrekturnorm des Art 9 OECD-MA bzw des betreffenden Länder-DBA s Tz 188.
Die Auslegung des Art 9 OECD-MA ergibt sich nicht wie ansonsten bei der DBA Auslegung üblich aus dem OECD-MAK sondern den Verrechnungspreis-R der OECD. Am 22.07.2010 hat die OECD die endgültige Fassung der überarbeiteten 1995 Verrechnungspreis-R (OECD Guidelines = OECD GL 2010) veröffentlicht. Neben der Aktualisierung der Kap I – III, welche im Wes die Resultate der OECD-Projekte "Comparability" und "Proftit Methods" sind, wurde auch ein komplett neues Kap IX "Business Restructuring" (= Funktionsverlagerung) aufgenommen. Der Veröffentlichung ging eine Anhörung der Wirtschaft voraus, die von der OECD iR der Veröffentlichung der Schlussfassung auch kommentiert wurde.
Allerdings sind weder das MA selbst noch der dazugehörige Komm bzw hier die OECD GL völkerrechtlich bindende Verträge. Deshalb besteht weder eine völkerrechtliche Verpflichtung, dem MA beim Abschluss eines DBA zu folgen, noch können die Gl für die Auslegung als rechtsverbindlich angesehen werden. Zu beachten ist jedoch, dass der Rat der OECD eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen hat, dem Abkommensmuster mit der in den Kommentaren/GL niedergelegten Auslegung bei der Abfassung von zweiseitigen DBA zu folgen. Auch der MK wird von der OECD als Empfehlung iSd Art 5b der OECD-Konvention erlassen. Ihm wird für die Auslegung von auf dem MDBA basierenden Abkommen regelmäßig die Bedeutung eines Auslegungsmittels iSd Art 31 und 32 der WVRK beigemessen. Die praktische Relevanz der GL basiert deshalb weitgehend auf völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätzen.
Infolgedessen greift der BFH auch in seiner neueren Rspr sowohl auf das MA als auch auf den Komm zum MA als Auslegungshilfen zurück (s Urt des BFH v 28.06.2006, BStBl II 2007, 100, und s Urt des BFH v 16.12.1998, BStBl II 1999, 207). Entspr gilt für die GL. So sollte nach Wassermeyer (in Debatin/Wassermeyer, MA, Vor Art 1, Rn 51) zumindest unter OECD-Mitgliedsstaaten, wenn die Vertragsstaaten im betreffenden Abkommen den Text des MA ganz oder tw übernommen haben, die Vermutung möglich sein, dass das Abkommen iSd MA und des Komm/der GL interpretiert werden muss, sofern die Vertragsstaaten nicht Vorbehalte angemeldet haben bzw bewusst eine vom MA bzw vom Kommentar abweichende und nach innerstaatlichem Recht auszulegende Regelung schaffen wollten.
Ein Detailproblem ist die zeitliche Anwendung geänderter GL. Die OECD selbst und auch die dt Fin-Verw gehen entspr der Einleitung zum MDBAK von einer sog dynamischen Auslegung aus, dh für eine Heranziehung der jeweils aktuellen Fassung der Kommentierung, dessen Grenze erst bei Änderungen erreicht werden soll, die im klaren Gegensatz zur Vorfassung stehen.
Dem folgt der BFH nicht. Er hat sich in vielen (anderen) Bereichen ausdrücklich für eine sog statische Auslegung ausgesprochen (s Urt v 25.05.2011, IStR 2011, 688 m Anm Schmidt; s Urt v 09.02.2011, BStBl II 2012, 212; s Urt v 08.12.2010, BStBl II 2011, 488). Damit besteht nur eine eingeschr völkerrechtliche Bindungswirkung.