Leitsatz
Die Investmentgesellschaften mit variablem Grundkapital (societes d'investissement a capital variable [SICAV]), deren ausschließlicher Zweck i.S.d. Richtlinie 85/611/EWG des Rats vom 20.12.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) es ist, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung anzulegen, sind nach Art. 4 der 6. EG-RL mehrwertsteuerpflichtig, so dass der Ort der in Art. 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie genannten Dienstleistungen, die solchen SICAV erbracht werden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind als der Dienstleistende, der Ort ist, an dem diese SICAV den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit haben.
Normenkette
Normenkette: Art. 4 Abs. 1 und 2 der 6. EG.RL , Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchst. E der 6. EG-RL (vgl. § 2, § 3a Abs. 1 und Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 6 Buchst. a UStG)
Sachverhalt
Eine in Belgien ansässige Bank – die BBL – erbrachte Beratungsleistungen für eine luxemburgische Investmentgesellschaft mit variablem Grundkapital (societes d'investissement a capital variable, SICAV) und war der Auffassung, die Beratungsleistungen seien im Mitgliedstaat der Leistungsempfängerin und nicht in Belgien zu versteuern. Die belgische Finanzverwaltung hielt das für unzutreffend. Das belgische Gericht meinte, es sei noch nicht hinreichend geklärt, ob eine SICAV Steuerpflichtiger i.S.d. 6. EG-RL sei und legte die Frage dem EuGH vor.
Entscheidung
Der EuGH entschied wie im Leitsatz wiedergegeben.
Hinweis
Ist bei bestimmten, in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-RL (vgl. § 3a Abs. 4 UStG) aufgezählten sonstigen Leistungen, der Leistungsempfänger Unternehmer, so richtet sich der Leistungsort danach, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt (vgl. § 3a Abs. 3 UStG). Entscheidend ist deshalb neben der Qualifikation der Leistung, dass der Leistungsempfänger Unternehmer (§ 2 UStG) bzw. Steuerpflichtiger (Art. 4 der 6. EG-RL) ist. Ob eine Investmentgesellschaft i.S.d. RL 85/611/EWG, deren ausschließlicher Zweck es ist, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung nach dem Grundsatz der Risikobetreuung in Wertpapieren anzulegen – sog. "Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren" (OGAW) –, Unternehmer/Steuerpflichtiger ist, bezweifelte die Belgische Finanzverwaltung.
Die Grundsätze zur Beurteilung, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 4 der 6. EG-RL vorliegt (vgl. § 2 Abs. 1 UStG), sind:
- Wirtschaftliche Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers, Dienstleistenden und insbesondere auch Leistungen, die die Nutzung von körperlichen und nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen erfassen – Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-RL – der Begriff Nutzung bezieht sich auf alle diese Vorgänge ohne Rücksicht auf die Rechtsform (Rdnr. 36).
- Die Eigenschaft als Steuerpflichtiger (Unternehmer) muss ausschließlich nach den Kriterien der 6. EG-RL beurteilt werden (Rdnr. 37).
- Keine wirtschaftliche Tätigkeit ist der bloße Erwerb und das bloße Halten von Beteiligungen und das Veräußern solcher Beteiligungen, Rdnr. 38. (Arg.: Keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen, da die Dividenden lediglich Ausfluss des "Eigentums" an dem Gegenstand sind.)
- Gleiches gilt – grundsätzlich – für Erwerb und Verkauf von Wertpapieren (Rdnr. 39). Anders – (Rdnr. 41) – wenn die Tätigkeiten über den bloßen Erwerb und den bloßen Verkauf hinausgehen, wie Umsätze bei Wertpapiergeschäften im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, C-77/01 – EDM –, BFH-PR 2004, 28). Gesellschaften wie die eingangs genannten Investmentgesellschaften sind Steuerpflichtige i.S.d. Richtlinie und damit Unternehmer i.S.d. UStG.
- Leistungsort für Beratungsleistungen an eine solche Investmentgesellschaft ist danach der Ort, an dem diese den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit hat.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 21.10.2004, C-8/03