Immer wieder beschäftigen Schadensersatzansprüche schwerbehinderter Menschen die Gerichte. Diese Schadensersatzansprüche werden regelmäßig darauf gestützt, dass der Arbeitgeber Vorschriften zum Schutz von schwerbehinderten Menschen aus dem SGB IX nicht beachte und damit eine Vermutung nach § 22 AGG dafür bestehe, dass der schwerbehinderte Mensch wegen seiner Behinderung benachteiligt worden ist.
Zwei neue Entscheidung des BAG weiten die Problematik aus.
9.8.1 Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes
Der Fall
Der Arbeitnehmer war seit dem 11.2.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 29.3.2018 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, der Auftrag sei gekündigt worden. Die Kündigungsschutzklage wurde durch einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht erledigt.
Der Arbeitnehmer macht sodann im April 2018 gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen einer Diskriminierung auf Grund seiner Schwerbehinderung geltend. Er begründet den Anspruch damit, dass der Arbeitgeber ihm in Kenntnis seiner offenkundigen Schwerbehinderung, ohne Zustimmung des Integrationsamtes, gekündigt habe.
Der Arbeitnehmer erlitt am 11.2.2018 einen Schlaganfall und befand sich mit einer halbseitigen Lähmung auf der Intensivstation. Auf seinen Antrag vom 17.10.2018 wurde er als schwerbehinderter Mensch, mit einem Grad der Behinderung von 50, befristet anerkannt.
Das BAG hat die Klage abgewiesen. Allerdings hat es anerkannt, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes die Vermutung nach § 22 AGG begründen kann, dass der Schwerbehinderte wegen seiner Behinderung diskriminiert wurde.
Da der Arbeitnehmerzum Zeitpunkt der Kündigung jedoch noch nicht als schwerbehinderter Mensch anerkannt war und auch noch keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte, wäre die Zustimmung des Integrationsamtes nur erforderlich gewesen, wenn seine Schwerbehinderung offenkundig gewesen sei. Das war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es fehlt bereits an einem Beweisantritt des Arbeitnehmers dafür, dass er zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch halbseitig gelähmt gewesen ist.
Auch der Umstand, dass der Beklagte mit dem Kläger kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) versucht hat, begründet nicht die Vermutung einer beabsichtigten Benachteiligung. Bei § 167 Abs. 2 SGB IX handelt es sich nicht um eine Vorschrift, die die Vermutung begründen könnte, dass eine Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung erfolgte. § 167 Abs. 2 SGB IX bestimmt keine Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen, die Bestimmung findet vielmehr ausdrücklich auf alle "Beschäftigte" Anwendung und somit auf alle Beschäftigten unabhängig von dem Vorliegen einer (Schwer)Behinderung.
Bedeutung für die Praxis
Der offizielle Leitsatz der Entscheidung lautet: "Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung die nach § 168 SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt, kann dieser Umstand die Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch durch die Kündigung erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte." Damit ist eigentlich alles gesagt. Abgesehen davon, dass eine Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes per se unwirksam ist, zieht sie auch noch Entschädigungsansprüche nach dem AGG nach sich. Von einem solchen Vorgehen ist also dringend abzuraten. Zur Klarstellung: Voraussetzung ist immer, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin, sei es aufgrund einer Anerkennung oder sei es, weil sie offenkundig ist, bekannt ist.
9.8.2 Bewerbung von schwerbehinderten Menschen
Der Fall
Im November 2017 veröffentlichte der Arbeitgeber über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit eine Stellenausschreibung, nach der eine bestimmte Stelle zu besetzen war. Der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Arbeitnehmer bewarb sich im November 2017 unter Angabe seiner Schwerbehinderung auf die ausgeschriebene Stelle. Mit Schreiben vom 11.4.2018 teilte ihm der Arbeitgeber mit, dass er sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Zu einem Vorstellungsgespräch war der Arbeitnehmer nicht eingeladen worden.
Der Arbeitnehmer machte fristgerecht einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beim Arbeitsgericht geltend, dieser blieb erfolglos.
Das BAG sprach dem Arbeitnehmer eine Entschädigung von knapp 7000 EUR zu. Der Arbeitgeber habe gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, die dem Schutz und der Förderung von schwerbehinderten Menschen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens dienen. Damit besteht die Vermutung, dass er den Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe.
Vorliegend hat das BAG zwei Verfahrensverstöße erkannt
Zum einen hat der Arbeitgeber die Stelle nicht ordnungsgemäß bei der Agentur für Arbeit gemeldet, wozu er als öffentlicher Arbeitgeber nach § 165 SGB IX, als privater Arbe...