Benachteiligung Schwerbehinderter durch Verfahrensverstöße

Missachtet ein Arbeitgeber Vorschriften, die das Ziel verfolgen, schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben zu schützen oder zu fördern, dann kann dies die Vermutung begründen, dass eine Benachteiligung, die ein schwerbehinderter Arbeitnehmer dadurch erfährt, wegen seiner Schwerbehinderung erfolgt und damit einen Schadensersatzanspruch nach dem AGG begründet.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in letzter Instanz einen Streitfall zu entscheiden, in dem es darum ging, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, an den schwerbehinderten Arbeitnehmer eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu zahlen.

Kündigungsschutzklage durch Vergleich erledigt

Der Arbeitnehmer war bei seinem Arbeitgeber als Hausmeister beschäftigt. Er wurde auf der Grundlage eines Personalgestellungsvertrages, den sein Arbeitgeber mit der Stadt L. abgeschlossenen hatte, mit Hausmeisterleistungen an einer Grundschule beschäftigt. Seit dem 11. Februar 2018 war der Arbeitnehmer aufgrund eines Schlaganfalls mit halbseitiger Lähmung arbeitsunfähig erkrankt. Hierüber wurde der Arbeitgeber am 12. Februar 2018 durch die spätere vorläufige Betreuerin des Arbeitnehmers telefonisch in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 kündigte die Stadt L. den Personalgestellungsvertrag. Ende März 2018 kündigte daraufhin der Arbeitgeber das mit dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis unter Hinweis darauf, dass der Vertrag zwischen ihm und der Stadt L. ende. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage, die vor dem Arbeitsgericht mit einem Vergleich endete.

Schwerbehinderung für den Arbeitgeber erkennbar?

Darüber hinaus erhob der Arbeitnehmer aber auch Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG und stützte diese darauf, dass ihn der Arbeitgeber wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Der Arbeitgeber habe ohne Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt und habe damit bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegen Vorschriften verstoßen, die Verfahrenspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthielten. Zwar habe zum Kündigungszeitpunkt noch kein Nachweis seiner Schwerbehinderung durch eine behördliche Feststellung vorgelegen, auch sei ein Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch noch nicht gestellt gewesen, allerdings sei seine Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung bereits offenkundig gewesen, da er am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation gelegen habe. Dies habe der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung gewusst.

Verfahrensverstoß kann Vermutung der Benachteiligung begründen

Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung im Sinne von § 22 AGG begründen kann, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Zu diesen Vorschriften gehört auch § 168 SGB IX, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedarf.

Keine offenkundige Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung

Dennoch blieb die Klage des Arbeitnehmers vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Obwohl er durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG erfahren hat, hat er nicht darlegen können, dass die Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung erfolgte. Zwar kann der Verstoß des Arbeitgebers gegen § 168 SGB IX die Vermutung begründen, dass die Schwerbehinderung (mit)ursächlich für die Benachteiligung war. Allerdings hat der Arbeitnehmer einen Verstoß des Arbeitgebers gegen diese Bestimmung nicht schlüssig dargetan.

Auch wenn der Arbeitnehmer am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und noch am 12. Februar 2018 mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation behandelt wurde, lägen keine Umstände vor, nach denen im Zeitpunkt der Kündigung durch den Arbeitgeber von einer offenkundigen Schwerbehinderung auszugehen war. Ohne nachweisliche Kenntnis des Arbeitgebers von einer Schwerbehinderung beinhaltete die Kündigung ohne Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes keine schadensersatzpflichtige Diskriminierung.

Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. Juni 2022, Az. 8 AZR 191/21


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