2.1 Widerspruchsbescheide
Rz. 2
Vor Klageerhebung ist die Recht- und Zweckmäßigkeit der Entscheidung des Versicherungsträgers in einem Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) nachzuprüfen (§ 78 SGG). Über Widersprüche in Angelegenheiten der Sozialversicherung entscheidet gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG die von der Vertreterversammlung bzw. dem Verwaltungsrat bestimmte Stelle. Dabei kann die Vertreterversammlung bzw. der Verwaltungsrat gemäß § 36a einem besonderen Ausschuss (Widerspruchsausschuss) diese Aufgabe übertragen.
Rz. 3
Die Bestellung eines Widerspruchsausschusses hat durch Satzungsbeschluss zu erfolgen, damit insoweit die rechtsstaatliche Kontrolle dieses Ausschusses durch ein Organ des Versicherungsträgers gewährleistet wird. Der Widerspruchsausschuss erhält dadurch keine Organeigenschaft (Peters, SGB IV, § 36a Rz. 3; Hauck/Noftz, SGB IV, § 36a Rz. 6). Insoweit ergänzt die Vorschrift die gesetzlichen Regelungen über die Geschäftsführung und Vertretung des Versicherungsträgers (§§ 31 ff.) und ermächtigt die besonderen Ausschüsse, neben den Organen für den Versicherungsträger zu handeln.
Rz. 4
Durch die Anwendbarkeit von § 35 Abs. 2 (§ 36a Abs. 1 Satz 2) erhält der Vorstand gegenüber den besonderen Ausschüssen eine Richtlinienkompetenz, die nicht beschränkt ist. Dadurch besteht für den Vorstand die Möglichkeit, auf die Tätigkeit der besonderen Ausschüsse Einfluss zu nehmen. Davon unberührt bleibt das Recht des Vorstandsvorsitzenden, gemäß § 38 Entscheidungen der besonderen Ausschüsse zu beanstanden und ggf. die Aufsichtsbehörde zu unterrichten. Soweit Versicherungsträger bei Einsprüchen gegen ihre Bußgeldbescheide als "Verwaltungsbehörde i. S. v. § 36 Abs. 1 OWiG" handeln, ist es möglich, einen Einspruchsausschuss gemäß § 36a einzurichten. Dies ist z. B. in § 70 der Satzung der Deutschen Rentenversicherung Bund geschehen.
2.2 Primärbescheide
Rz. 5
Mit dem Inkrafttreten des SGB IV waren Bedenken entstanden, ob die sog. Rentenausschüsse in der gesetzlichen Unfallversicherung noch ausreichend gesetzlich legitimiert sind. § 36a beseitigt diese Zweifel, indem er ausdrücklich derartige Ausschüsse erlaubt. Durch das UVEG v. 7.8.1996 hat der Gesetzgeber diese Entscheidung erneut bestätigt und gleichzeitig die Kompetenzen der sog. Rentenausschüsse aktualisiert und konkretisiert.
2.3 Spartenausschüsse
Rz. 6
Mit der Errichtung von fachbezogenen besonderen Ausschüssen wird der Vielseitigkeit der Sozialversicherung der Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau Rechnung getragen. Die Zusammensetzung der Ausschüsse bestimmt die Selbstverwaltung. Der Aufgabenkreis wird ebenfalls durch die Selbstverwaltung bestimmt; dazu gehört auch die Ausgestaltung von Vorschlagsrechten. Die Befugnisse, weitere besondere Ausschüsse nach § 36a Abs. 1 Satz 1 zu errichten, bleibt unberührt (BT-Drs. 17/8616 S. 19).
2.4 Zusammensetzung der Ausschüsse
Rz. 7
Abs. 2 schreibt zwingend vor, dass die Satzung die Zusammensetzung der besonderen Ausschüsse regelt; ansonsten ist die Vertreterversammlung bzw. der Verwaltungsrat frei in seiner Entscheidung, wie die Zusammensetzung erfolgen soll. Der Gesetzgeber hat jedoch die Freiheit des satzungsgebenden Organs bei der Bestimmung der Zusammensetzung der besonderen Ausschüsse insoweit eingeschränkt, als er in Abs. 2 Satz 2 hinsichtlich der Personen, die Mitglieder der besonderen Ausschüsse werden können, festgelegt hat, dass die Wählbarkeit als Organmitglied Voraussetzung ist. Dies beinhaltet, dass die Bestimmungen des § 51 zu beachten sind. Bedeutung kann dies etwa bei der Bestellung von Versichertenältesten zu Mitgliedern eines besonderen Ausschusses haben; denn ein Versichertenältester muss etwa – anders als ein Ausschussmitglied – nicht das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag besitzen.
Rz. 8
Die Satzung kann weiter vorsehen, dass auch Bedienstete des Versicherungsträgers Mitglieder der besonderen Ausschüsse werden können. Von dieser Möglichkeit wird i. d. R. Gebrauch gemacht, wobei dann allerdings festzulegen ist, ob diesen Ausschussmitgliedern ein volles Stimmrecht oder nur eine beratende Stimme eingeräumt wird.
Rz. 9
Die Bestellung der Mitglieder erfolgt durch eine Wahl unter Berücksichtigung demokratischer Prinzipien sowie der Grundsätze für die Wahl der Selbstverwaltungsorgane einschließlich des Vorschlagsrechts.
Rz. 10
Abs. 2 Satz 3 bestimmt die Zusammensetzung der Widerspruchsausschüsse in Angelegenheiten der Künstlersozialversicherung. Dies gilt sowohl für die Ausschüsse beim primär für Angelegenheiten der Künstlersozialversicherung zuständigen Versicherungsträger als auch für die besonderen Ausschüsse bei der Deutschen Rentenversicherung, soweit ihr die Aufgabe übertragen worden ist, die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Künstlersozialabgabe durch Unternehmen in Anwendung von § 28p zu prüfen. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Frage der Verfassungsmäßigkeit des KSVG. Denn damit wird sichergestellt, dass ein sog. Vollzugsdefizit nicht besteht (vgl. dazu BSG, Urteil v. 8.10.2014, B 3 KS 1/13 R, und Urteil v. 25.2.2015, B 3 KS 5/13 R). Es soll auch in diesen Fällen die Mitwirkung von Personen, ...