Rz. 3
Abs. 1 Satz 1 geht vom Prioritätsprinzip aus, d. h., bei örtlicher Zuständigkeit mehrerer Behörden ist die zuerst mit der Sache befasste Behörde zur Entscheidung zuständig. Das Einvernehmen der anderen ebenfalls zuständigen Behörde(n) ist nicht erforderlich. Damit soll vor allem eine Beschleunigung des Verfahrens erreicht werden, da der Leistungsberechtigte sonst bis zum endgültig verbindlichen Abschluss eines Zuständigkeitsstreits warten müsste. Die Regelung gilt sowohl für auf Antrag als auch für von Amts wegen eingeleitete öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1. Die Befassung mit der Sache ist bereits bei einer internen Auseinandersetzung mit der Angelegenheit gegeben. Keine Befassung mit der Sache liegt dagegen in der Erteilung einer Auskunft außerhalb eines Verwaltungsverfahrens. § 2 erfasst nicht die Fälle, in denen sich nach Einleitung eines Verwaltungsverfahrens die örtliche Unzuständigkeit herausstellt und deshalb die Abgabe an die zuständige Behörde erfolgt.
Die Behörde hat ihre örtliche Zuständigkeit in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen; eine fehlende örtliche Zuständigkeit zieht die Rechtswidrigkeit, aber nicht die Nichtigkeit eines von der unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsaktes nach sich (§ 40 Abs. 3 Nr. 1). Für die Sozialversicherung ist die Regelung wegen § 16 SGB I von geringer Bedeutung. Danach sind Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen; allerdings haben nicht zuständige Leistungsträger Anträge entgegenzunehmen und unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten.
Kommt die Zuständigkeit eines Sozialleistungsträgers grundsätzlich in Betracht, hat er den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes zu bescheiden, auch wenn er der Auffassung ist, im Einzelfall sachlich oder örtlich nicht zuständig zu sein (BSG, Urteil v. 11.11.2003, B 2 U 36/02 R, SozR 4-1500, § 88 Nr. 1).
Abs. 1 Satz 2 behandelt die Fälle des positiven und negativen Kompetenzkonflikts und der zweifelhaften Zuständigkeit. Halten sich mehrere Behörden für zuständig oder hält sich keine Behörde für zuständig, so handelt es sich um einen Kompetenzkonflikt im positiven oder negativen Sinn. Ein Kompetenzzweifel liegt vor, wenn die örtliche Zuständigkeit aus anderen Gründen rechtlicher oder tatsächlicher Art zweifelhaft ist.
Dabei hat die gemeinsame Aufsichtsbehörde jedoch von Amts wegen oder auch auf Anregung von Beteiligten die Befugnis zu entscheiden, dass sich in Durchbrechung des Prioritätsprinzips eine andere örtlich zuständige Behörde mit der Sache befassen soll bzw. welche Behörde bei Zuständigkeitsstreit oder -zweifeln zuständig ist. Die Aufsichtsbehörde sollte bei ihrer Ermessensentscheidung vor allem dann eine andere als die erstbefasste Behörde für zuständig erklären, wenn in deren Bereich das Schwergewicht der wahrzunehmenden Aufgaben und der zu berücksichtigenden Interessen liegt. Die Übertragung der alleinigen Zuständigkeit zur Entscheidung ist nur möglich und zulässig, solange die mit der Sache zuerst befasste Behörde noch nicht entschieden hat.
Die Bestimmung der Behörde durch eine bzw. durch die gemeinsame Aufsichtsbehörde ist gegenüber dem Versicherten grundsätzlich kein Verwaltungsakt, denn die Verletzung eigener materieller Rechte des Versicherten durch die Entscheidung der Aufsichtsbehörde kommt regelmäßig nicht in Betracht (vgl. Mutschler, in: KassKomm. SGB X, § 2 Rz. 5a; Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 2 Rz. 18). Der Betroffene kann deshalb erst die Entscheidung der Behörde in der Sache angreifen.
Rz. 4
Wenn die Behörden, die im Streit über ihre Zuständigkeit sind, über keine gemeinsame übergeordnete Aufsichtsbehörde verfügen, so treffen die für sie fachlich zuständigen Aufsichtsbehörden gemeinsam die Zuständigkeitsentscheidung (Abs. 1 Satz 3). Streiten z. B. 2 Krankenkassen, die verschiedenen Bundesländern angehören und deshalb verschiedenen Aufsichtsbehörden unterstehen, über die Zuständigkeit in einem konkreten Einzelfall, so haben beide Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam zu treffen.
Unter Aufsichtsbehörden i. S. d. § 2 sind nicht nur die in § 90 SGB IV genannten Behörden auf Bundes- und Landesebene zu verstehen. Bestehen zwischen Sektionen, Bezirksverwaltungen oder Landesgeschäftsstellen eines Sozialversicherungsträgers Zweifel über die örtliche Zuständigkeit, so entscheidet nicht die zuständige Aufsichtsbehörde, sondern die Geschäftsführung bzw. bei Krankenkassen der hauptamtliche Vorstand.