Rz. 10
Ein in Rechtsvorschriften ausdrücklich zugelassener Widerrufsvorbehalt, wie er in Nr. 1 genannt und vorausgesetzt wird, findet sich für typische Sozialleistungen in den materiellen Vorschriften der Sozialgesetzbücher nicht und zwar auch nicht in § 8 Abs. 2 S. BEEG (BSG, Urteil v. 21.2.2013, B 10 EG 12/12 R; a. A. Gmati, in: jurisPK-SGB X, § 47 Rz. 30.1). Hiernach wird Elterngeld in den Fällen, in denen die berechtigte Person nach ihren Angaben voraussichtlich kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit haben wird, unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall gezahlt, dass sie entgegen ihren Angaben doch Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat.
Ob der Vorbehalt für spätere Gesetzesänderungen bei Rentenauskünften nach § 109 Abs. 2 SGB VI einen solchen Widerrufsvorbehalt darstellt, erscheint eher zweifelhaft, da eine solche Auskunft noch keinen VA über eine Rentenbewilligung darstellt und auch die Feststellung von einzelnen Berechnungselementen der Rente nicht in Form Verbindlichkeit beanspruchender VA zu ergehen hat. Ansonsten wird eher die Unwiderruflichkeit normiert (vgl. z. B. § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB V, § 4 Abs. 2 Satz 2, § 59 Abs. 1 Satz 1 KVLG 1989 für Befreiungsbescheide), soweit nicht die Wirkung des VA in diesen Fällen ohnehin auf bestimmte Tatbestände beschränkt ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB V in der Krankenversicherung, § 6 Abs. 5 SGB VI für Befreiungen in der Rentenversicherung), wodurch sich der VA wegen Wegfalls der Voraussetzungen dann erledigt, ohne dass es noch der förmlichen Aufhebung oder des Widerrufs für die Zukunft bedarf. Einen eigenständigen Widerruf auf Antrag regeln z. B. Art. 3 KOV-AnpG von 1989, § 59 Abs. 1 Satz 2 KVLG 1989 und § 6 Abs. 2 KSVG bei früherer Befreiung von Versicherungspflichten.
Rz. 11
Im Zusammenhang mit Zulassungen zur Teilnahme an der ärztlichen Versorgung enthalten z. B. § 124 Abs. 6, § 126 Abs. 4 SGB V, § 44 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, als Entzug in § 95 Abs. 6 SGB V oder hinsichtlich des Meldeverfahrens § 8 Abs. 3 2. DÜVO Widerrufsmöglichkeiten. Erfolgt die Zulassung zu vertragsärztlichen Leistungen dagegen z. B. im Delegationsverfahren oder ist ein Widerruf nicht möglich, kann die Rücknahme der Zulassung lediglich nach § 48 erfolgen, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt sind (vgl. BSG, Urteil v. 12.5.1993, 6 RKa 8/92, NZS 1993 S. 509).
Rz. 12
Ein in Rechtsvorschriften zugelassener Widerrufsvorbehalt kann nicht schon darin gesehen werden, dass die materiellen Vorschriften die Ansprüche von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen und/oder dort der Wegfall des Anspruchs bei bestimmten Tatbeständen geregelt wird. Hierbei handelt es sich um materielle Anspruchsvoraussetzungen, die über die Frage der ursprünglichen und weiter bestehenden Rechtmäßigkeit des VA im Rahmen von §§ 45, 48 entscheiden.
Rz. 13
Die Zulässigkeit eines von der Behörde im Bescheid verfügten Widerrufsvorbehalts selbst richtet sich nach § 32. Bei gebundenen Entscheidungen darf ein Widerrufsvorbehalt dem Bescheid nur beigefügt werden, wenn er wiederum ausdrücklich gesetzlich zugelassen ist oder wenn dadurch sichergestellt werden soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ansprüche erfüllt werden (§ 32 Abs. 1). Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs können nicht zugleich Gegenstand eines Widerrufsvorbehalts sein, sonst könnten die Vertrauensschutzregelungen der §§ 45, 48 umgangen werden (str., vgl. BSG, Urteil v. 2.4.2014, B 6 KA 15/13 R zum Meinungsstand). Ein Widerrufsvorbehalt/eine Bedingung zur Sicherstellung der auch künftigen gesetzlichen Voraussetzungen des VA mit Dauerwirkung wäre mit den Aufhebungsvoraussetzungen des § 48 identisch, so dass § 47 an sich schon nicht (mehr) anwendbar ist. Die noch bestehende Rechtmäßigkeit der Entscheidung ist für die Anwendbarkeit des § 47 jedoch schon Voraussetzung. Daher sind Vorbehalte oder Bedingungen, die dem VA beigefügt wurden, weil Anspruchsvoraussetzungen unklar sind, richtigerweise unter der Fragestellung eines vorläufigen VA oder der vorläufigen oder bedingten Leistungsgewährung zu erörtern (vgl. Komm. zu § 31). Ein wirksamer Widerruf aufgrund eines behördlichen Vorbehaltes setzt voraus, dass sich die Behörde hierauf auch ausdrücklich beruft (so wohl auch BSG, Urteil v. 9.10.2012, B 5 R 8/12, SGb 2013 S. 710 mit Anm. Jährling-Rahnefeld). Die Formulierung in einem Bescheid "Sollte sich herausstellen, dass das Renteneinkommen wider Erwarten die Hinzuverdienstgrenzen überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf Rente. Zu Unrecht erhaltene Beiträge sind zu erstatten" ist als Vorbehalt aufzufassen. Ein solcher Vorbehalt umfasst nur die Erstattung einer Leistung und nicht auch die zeitlich vorhergehende Aufhebung des der Leistung zugrunde liegenden Verwaltungsakts (BSG, a. a. O.).
Rz. 14
Ein Widerrufsvorbehalt zur Sicherung der künftigen gesetzlichen Voraussetzungen scheidet in den Fällen aus, in denen eine rechtsgebundene Entscheidung nur von gegenwärtigen Voraussetzungen abhängig ist und als gebunde...