Rz. 17
§ 50 Abs. 2 Satz 1 enthält im Sinne einer Auffangregelung eine Anspruchsgrundlage für die Erstattung aller durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen bewirkten Vermögensverschiebungen (= Leistungen), die ein Leistungsträger in Wahrnehmung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgaben nach dem SGB einem Bürger erbracht hat (BSG, Urteil v. 7.9.2006, B 4 RA 43/05). Dabei muss es sich nicht um Sozialleistungen handeln, es genügt, dass die Behörde einem Privatrechtssubjekt eine Geldleistung im Rahmen der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Verwaltungsaufgaben nach dem SGB zu Unrecht erbracht hat (BSG, a. a. O., zu "Geburtstagsgaben", die ein Rentenversicherungsträger aus Anlass des 90. und späterer Geburtstage erbringt).
Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung gebietet es, die Rückforderung auch in den Fällen als öffentlich-rechtliche Erstattung zuzulassen, in denen nicht förmlich über den Anspruch durch VA entschieden wurde, sondern nur tatsächlich eine Leistung gewährt oder in Anspruch genommen wurde, wie dies bei Krankenbehandlung unter Verwendung der Krankenversichertenkarte der Fall ist. Eine Leistung ohne Bescheid liegt auch vor, wenn der VA schon wirksam aufgehoben war, sich der bewilligende VA durch Zeitablauf oder Eintritt einer Bedingung erledigt hatte und es einer förmlichen Aufhebung nicht mehr bedurfte, die Leistung jedoch weiterhin aufgrund eines Versehens erbracht wurde. Eine bescheidlose Leistungsgewährung liegt auch vor, wenn aufgrund eines später aufgehobenen Urteils Leistungen erbracht worden waren, selbst wenn dazu ein Ausführungsbescheid erlassen wurde (BSG, Urteil v. 31.10.1991, 7 RAr 60/89, SozR 3-1300 § 45 Nr. 10). Auch bei einem nichtigen VA erfolgt die Leistungsgewährung ohne VA. Ebenso bei Leistungen, die nach Ablauf einer in einem VA zulässig enthaltenen Befristung erbracht werden (LSG Brandenburg, Urteil v. 11.6.2003, L 2 RJ 44/02). Einer vorherigen Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 Abs. 1 bedarf es aber, wenn die Befristung für den Empfänger nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar war. In diesem Fall erfolgte die Weiterzahlung nicht bescheidlos (LSG Brandenburg, a. a. O.), so dass nicht Abs. 2, sondern Abs. 1 anzuwenden ist (zur gesetzlichen Anordnung der Unwirksamkeit einer Wohngeldbewilligung nach § 30 Abs. 4 Wohngeldgesetz mit der Folge der Anwendung des § 50 Abs. 2 für die Erstattung: VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 17.11.2006, 11 K 2398/06). Zahlt ein Rentenversicherungsträger in der irrigen Annahme, der Versicherte lebe noch, aus Anlass des vermeintlichen 90. Geburtstages Geburtstagsgaben, die von der Schwiegertochter verbraucht werden, ist Rechtsgrundlage für die Rückforderung ebenfalls § 50 Abs. 2 Satz 1 (BSG, Urteil v. 7.9.2006, B 4 RA 43/05 R, weil der Schwiegertochter kein bewilligender VA erteilt wurde).
Rz. 18
Die in Abs. 1 und 2 zugrunde gelegte Differenzierung über die Rückforderung mit oder ohne VA erbrachter Sozialleistungen führt in den Fällen zu Schwierigkeiten, bei denen in der Leistungsgewährung selbst ein VA gesehen wird. Das Vorliegen eines VA wurde von der Rechtsprechung dabei entweder im Wege der Auslegung bejaht, weil der Betroffene eine Zahlung als bewilligenden VA ansehen konnte (BSG, Urteil v. 29.10.1992, 10 RKg 4/92, NZS 1993 S. 279), oder der VA wurde in einer Rentenanpassungsmitteilung gesehen, obwohl der dieser Rentenanpassung zugrundeliegende Rentenanspruch bereits bestandskräftig entzogen war (BSG, Urteil v. 24.1.1995, 8 RKn 11/93, NZS 1995 S. 428). Sieht man in diesen Fällen hinter oder in der Leistungserbringung selbst einen VA, wird der Anwendungsbereich des § 50 Abs. 2 zugunsten des Abs. 1 sehr eingeengt. Es erscheint fraglich, ob dies den gesetzlichen Intentionen entspricht. Maßgeblich muss letztlich sein, ob das Verhalten der Behörde alle Tatbestandsmerkmale des § 31 erfüllt oder nicht und ob von einer entsprechenden Bekanntgabe nach § 37 als Voraussetzung für die Wirksamkeit des VA ausgegangen werden kann. Das BSG neigt in den o. g. Entscheidungen offenbar zu einer weiten Auslegung der §§ 31, 37.
Rz. 19
Bei derartigen Fallgestaltungen macht sich besonders bemerkbar, dass das SGB keine eigenständigen Vorschriften über die Erfüllung von Leistungsansprüchen enthält, die eine Differenzierung zwischen der Leistungsbewilligung/Leistungsbescheid einerseits und der Erfüllungshandlung andererseits als eigenständige Formen des Handelns der Leistungsträger ermöglichen. Auch die Rechtsprechung differenziert hier nicht. In BSGE 63 S. 224 wurde z. B. die Rechtswidrigkeit eines Erstattungsbescheides deswegen angenommen, weil der darin geltend gemachte Rückforderungsanspruch durch Aufrechnung erfüllt wurde. Die Frage der Erfüllung des Erstattungsanspruchs betrifft jedoch nicht die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides selbst, sondern setzt dessen Rechtmäßigkeit voraus, um das Erlöschen der aufgerechneten Forderung zu bewirken. Auch die Aufrechnungserklärung des SV-Trägers nach §§ 51, 52 SGB I wegen der festgestellten Erstattungsf...