0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) am 1.1.1997 in Kraft getreten und entspricht im Wesentlichen den §§ 604, 605 RVO.
Rz. 2
Durch das UVEG wurde der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als Voraussetzung für die Abfindung gegenüber dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht (§ 604 RVO) von 30 auf 40 % erhöht.
Rz. 3
Verschlimmern sich die Folgen eines abgefundenen Versicherungsfalls, muss entgegen dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht (§ 605 RVO) die wesentliche Änderung nicht mehr nur länger als einen Monat, sondern länger als 3 Monate andauern. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf § 73 Abs. 3.
1 Allgemeines
Rz. 4
Die Abfindung der Rente erfolgt ausschließlich auf Antrag des Versicherten.Mit der Abfindung wird die laufende Rentenzahlung an den Versicherten abgelöst und der Rentenanspruch erlischt dauerhaft in Höhe des abgefundenen Anteils. Der Anspruch auf Heilbehandlung und Leistungen zur Teilhabe hingegen bleibt durch die Abfindung unberührt. Die Abfindung ist eine Ermessensleistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
Rz. 5
Die Vorschrift beruht auf der Erfahrung, dass Versicherte mit einer MdE unter 40 % häufig noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen können und deshalb für ihren laufenden Lebensunterhalt auf den laufenden Bezug der Rente nicht angewiesen sind. Sie soll diesen Versicherten die Möglichkeit geben, die Auszahlung der Rente ihrem Wunsch entsprechend – laufend oder in einem einmaligen Abfindungsbetrag – zu gestalten (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 13/2204).
2 Rechtspraxis
2.1 Voraussetzungen der Abfindung
Rz. 6
Abgefunden werden nur Renten auf unbestimmte Zeit. Da in der Zeit, für die der Unfallversicherungsträger die Rente in Form einer vorläufigen Entschädigung leistet, angenommen wird, dass sich in den Folgen des Versicherungsfalls noch kein stabiler Zustand eingestellt hat, können diese nicht abgefunden werden. Voraussetzung für die Abfindung einer Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von weniger als 40 % ist ein Antrag des Versicherten. Ohne diesen Antrag kann der Unfallversicherungsträger selbst keine Entscheidung über eine Abfindung treffen, da hierbei die Gefahr bestünde, dass in den Fällen abgefunden wird, die für ihn vorteilhaft erscheinen, z. B. wenn ein Verletzter noch jung ist (vgl. BT-Drs. IV/938 – neu – S. 15 zur Vorgängervorschrift § 604 RVO).
Rz. 6a
Anders als in § 75 ist der Antrag materielle Leistungsvoraussetzung. Der Versicherte muss daher geschäftsfähig sein. Der Antrag eines handlungsfähigen Minderjährigen bedarf gemäß § 36 Abs. 2 SGB I der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 76 Rz 3.3). Ferner muss der Versicherte auch die Verfügungsberechtigung über die Rente haben. Ist die Rente ganz oder teilweise an Dritte abzuführen, auszuzahlen, auf sie übergeleitet, zur Aufrechnung oder Verrechnung gestellt, übertragen, verpfändet oder gepfändet (§§ 48 bis 54 SGB I) oder unterliegt sie der Anrechnung nach § 98 Abs. 3, kann sie grundsätzlich nicht abgefunden werden (Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 76 Rz. 6).
Rz. 7
Die Entscheidung über die Abfindung trifft der Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei der Ermessensentscheidung sind die Belange des Antragstellers, der Versichertengemeinschaft und des Gemeinwohls zu berücksichtigen. Die Belange des Antragstellers sprechen grundsätzlich für die Abfindung der Rente; die Belange der Versichertengemeinschaft ebenfalls, weil hierdurch der Verwaltungsaufwand verringert wird. Bei konkreten Anhaltspunkten, dass die Lebenserwartung des Antragstellers aufgrund seines Alters oder seiner körperlichen Verfassung deutlich geringer ist als die des Durchschnitts gleichaltriger Personen, ist die Abfindung der Rente jedoch abzulehnen. Unter die schutzwürdigen Interessen des Gemeinwohls fällt z. B. das Vermeiden des Eintritts einer Sozialhilfebedürftigkeit aufgrund der bewilligten Abfindung oder die Gefahr, dass etwaige Unterhaltspflichten nicht mehr in gleichem Umfang erfüllt werden, weil die laufende Rente abgefunden worden ist (zu den zu berücksichtigtenden Ermessenserwägungen vgl. BSG, Urteil v. 9.11.2010, B 2 U 10/10 R).
Die Ermessensausübung des Unfallversicherungsträgers ist vom Gericht auf Ermessensfehler zu überprüfen; es darf jedoch keine eigenen Ermessenserwägungen an die Stelle des Ermessens des Unfallversicherungsträgers setzen. Die Ermessenserwägungen müssen aus der Begründung des Bescheides klar zum Ausdruck kommen. Ist dies nicht der Fall, können Ermessensausübung und/oder die Begründung bei Klageerhebung noch bis zur letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden (BSG, Urteil v. 18.4.2000, B 2 U 19/99 R; BSG, Urteil v. 22.8.2000, B 2 U 33/99 R).
Zugrunde liegende Tatsachen, die gegen eine Abfindung sprechen, müssen voll bewiesen sein. Die Beweislast trifft den Unfallversicherungsträger, da es sich im Rahmen des Ermessens um anspruchshindernde Tatsachen handelt (Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 76 Rz. 8).
Rz. 8
Ein bestimmter Verwendungszweck für die beantragte Abfindung ist vom Versicherten nicht anzug...