Leitsatz
* 1. Um eine Entscheidung i.S.v. § 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO handelt es sich auch dann, wenn der Vorsitzende des FG-Senats das Klageverfahren nicht "förmlich" durch Beschluss gem. § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO, sondern "faktisch" durch Verfügung zum Ruhen bringt. Die Entscheidung ist deshalb unbeschadet des § 128 Abs. 2 FGO anfechtbar.
2. Stimmt der Kläger einem vom Gericht angeregten förmlichen Ruhen des Verfahrens nicht zu, darf es regelmäßig auch nicht "faktisch" zum Ruhen gebracht werden. Vielmehr ist das Verfahren bei vorliegender Entscheidungsreife weiterzubetreiben und im Rahmen eines ordnungsmäßigen Geschäftsgangs zu fördern.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO , § 128 Abs. 2 FGO , § 251 ZPO
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten in der Sache über Fragen des wirtschaftlichen Eigentums sowie des Gestaltungsmissbrauchs im Zusammenhang mit einem sog. Dividendenstripping. Im Zug dieses Streits hatte das FA der Klägerin, einer GmbH, die als freier Makler an der Frankfurter Wertpapierbörse tätig ist, Verluste aus dem Verkauf von Wertpapieren sowie die Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer nicht anerkannt. Streitjahre sind 1990 und 1991.
Gegen die hiernach geänderten Steuerbescheide vom 15.8.1997 hat die Klägerin am 12.9.1997 Einsprüche eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Das FA sah "unter Abwägung der gegenseitigen Interessen einen ausreichenden Grund, die abschließende Würdigung im vorliegenden Fall zurückzustellen", in dem sog. Nichtanwendungserlass des BMF vom 6.10.2000 (BStBl I 2000, 1392) gegen das BFH-Urteil vom 15.12.1999, I R 29/97 (BStBl II 2000, 527) sowie in verschiedenen anderweitigen Parallelverfahren, die beim BFH zu den Streitfragen anhängig waren und derzeit noch sind.
Die Klägerin hat am 29.11.2001 beim FG Untätigkeitsklage erhoben. Auch über diese Klage ist bis heute nicht entschieden. Der Berichterstatter des zuständigen FG-Senats hat sich allerdings am 4.6.2004 gegenüber den Beteiligten unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 14.1.2004, XI B 137/02 (BFH/NV 2004, 638) wie folgt geäußert:
" ... sehe ich es auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin eine Untätigkeitsklage erhoben hat, die grundsätzlich demnächst entschieden werden könnte, zum jetzigen Zeitpunkt als sachgerecht an, eine Entscheidung des XI. Senats des BFH in einem gleichgelagerten Fall abzuwarten. ... sieht es der XI. Senat des BFH offenbar als vertretbar an, die Übertragung von wirtschaftlichem Eigentum auf den Börsenmakler (die Klägerin) zu verneinen und die Grundsätze des Wertpapierpensionsgeschäfts auf diesen Sachverhalt zu übertragen ( ...). Dies hätte zur Konsequenz, dass die Klage abgewiesen werden müsste. Da die Revision in dem genannten Beschlussfall vom BFH zugelassen wurde und gleichzeitig die wohl abweichende Auffassung des I. Senats des BFH (BStBl 2000, 527) zitiert wird, kann auch mit einer Entscheidung durch den Großen Senat des BFH gerechnet werden. Bei dieser Sachlage scheint es mir ganz besonders im Interesse der Klägerin zu liegen, nicht durch die im Streitfall vorprogrammierte Beanspruchung der nächsten Instanz ein unnötiges Kostenrisiko tragen zu müssen. Ich rege deshalb ein einverständliches Ruhen des Verfahrens i.S.d. § § 155 FGO, 251 ZPO an."
Die Klägerin stimmte dem Schreiben vom 5.7.2004 nicht zu und hielt ein weiteres Zuwarten im Hinblick auf die zweifelsfreien Äußerungen des BFH-Urteils in BStBl II 2000, 527 für unzumutbar.
Auf ihre abermalige Nachfrage vom 12.1.2005 zum Stand und Fortgang des Verfahrens entgegnete der Vorsitzende des FG-Senats am 13.1.2005: "Zwar haben Sie einem förmlichen Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt. Das ändert aber nichts daran, dass das Gericht nach eigenem Ermessen bestimmt, ob terminiert wird. Die Ihnen vom Berichterstatter durch Verfügung vom 4.6.2004 im Zusammenhang mit einer Ruhensanordnung mitgeteilten Gründe rechtfertigen es, vorerst von einer Terminierung abzusehen."
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der seitens des Vorsitzenden des FG-Senats nicht abgeholfen wurde.
Entscheidung
Der BFH hielt die Beschwerde ebenso als zulässig wie als begründet an. Näheres ergibt sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1. Auch wenn Sie nicht so oft mit den FG zu tun haben, lassen sich gelegentliche Berührungen mit den Gerichten kaum vermeiden. Gerade der nicht forensisch erfahrene Berater wird es dann häufig vorziehen, das anhängig gemachte Klageverfahren zum Ruhen zu bringen und das Ergebnis eines anderweitig höchstrichterlich anhängigen Revisionsverfahrens in einer Parallelsache abzuwarten.
2. Das entspricht der Prozessökonomie und oftmals auch den "Interessen" der Richter, die in einschlägigen Fällen deswegen anregen werden, entsprechende Ruhensanträge zu stellen. Solcher übereinstimmender Anträge aller Verfahrensbeteiligten (vgl. § 62 FGO) bedarf es, vgl. § 251 ZPO (i.V.m. § 155 FGO). Fehlen sie, kommt ein Zum-Ruhen-Bringen nicht in Betracht.
3. Nun mag es aber sein, dass einer der Beteiligten einer solchen...