Prof. Dr. Andreas Herlinghaus
Leitsatz
Die zinslose Stundung eines nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs stellt keine der Schenkungsteuer unterliegende freigebige Zuwendung dar.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG, § 2303, § 2317 Abs. 1 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin, die von ihren Eltern durch gemeinschaftliches Testament gem. § 2269 Abs. 1 BGB als Schlusserbin eingesetzt worden war, stundete im Hinblick darauf durch notariellen Vertrag vom 01.02.1987 den ihr nach dem Tod des zuerst versterbenden Elternteils zustehenden Pflichtteilsanspruch dem überlebenden Elternteil gegenüber bis zu dessen Tod.
Nachdem zunächst der Vater (V) und dann die Mutter (M) verstorben waren, sah das FA in der zinslosen Stundung des der Klägerin nach dem Tod des V zustehenden Pflichtteilsanspruchs eine freigebige Zuwendung der Klägerin an M und setzte dafür Schenkungsteuer fest. Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA aufgrund einer geänderten Berechnung des Werts des Erwerbs die Schenkungsteuer herabsetzte.
Das FG (FG Münster vom 08.12.2008, 3 K 2849/06 Erb, Haufe-Index 2153861, EFG 2009, 1042) wies die dagegen erhobene Klage mit der Begründung ab, die zinslose Stundung des Pflichtteilsanspruchs stelle eine freigebige Zuwendung der Klägerin an M gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Gegenstand der Zuwendung sei die unentgeltliche Gewährung des Rechts gewesen, das in Form des Pflichtteilsanspruchs überlassene Kapital zu nutzen.
Entscheidung
Dem vermochte sich der BFH aus den unter Praxis-Hinweise genannten Gründen nicht anzuschließen. Entsprechend hob er das Urteil des FG sowie die angefochtenen Bescheide auf.
Hinweis
1. Der Schenkungsteuer unterliegt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Erforderlich hierfür ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung eine Vermögensverschiebung, d.h. eine Vermögensminderung auf der Seite des Schenkers und eine Vermögensmehrung auf der Seite des Beschenkten (vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 09.07.2009, II R 47/07, BFH/NV 2010, 353, BFH/PR 2010, 70). Zwar kann eine solche Vermögensverschiebung auch durch Zinsverzicht begründet werden, das setzt aber zunächst einmal einen bestehenden Zinsanspruch voraus. Da ein solcher (gesetzlicher) Anspruch auf Verzinsung des Pflichtteilsanspruchs nur bei Verzug (§ 288 BGB), Rechtshängigkeit (§ 291 BGB) oder Stundung (§ 2331a Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 i.V.m. § 1382 Abs. 2 und 4 BGB) entsteht, gab es im Streitfall mangels der Einschlägigkeit der vorgenannten Anspruchsgrundlagen keinen Anlass für den BFH, unter dem Gesichtspunkt eines Zinsverzichts eine freigebige Zuwendung zu überprüfen: Es fehlte insoweit schon am Zinsanspruch des Schenkers, auf den dieser hätte verzichten können.
2. Eine freigebige Zuwendung liegt nach Auffassung des BFH auch nicht darin, dass die Klägerin beim Abschluss des Vertrags vom 01.02.1987 keine (vertragliche) Verzinsung des gestundeten Pflichtteilsanspruchs gefordert und vereinbart hat.
a) Macht der Pflichtteilsberechtigte das vorübergehende Nichtgeltendmachen des Pflichtteilsanspruchs nicht von einer Verzinsung abhängig, so liegt schon deshalb keine freigebige Zuwendung vor, weil nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als Erwerb von Todes wegen u.a. der Erwerb aufgrund eines "geltend gemachten" Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. BGB)gilt. Die Erbschaftsteuer dafür entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG entsprechend erst mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs, während dem Entstehen des Anspruchs mit dem Erbfall erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung hat.
Dieses Vorgehen hat seinen Grund darin, dass ausgeschlossen werden soll, dass beim Berechtigten auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt. Dem entspricht es, wenn der Erbe nach § 10 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vom Wert des gesamten Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus "geltend gemachten" Pflichtteilen abziehen kann. Mit dem vorgenannten Regelungskonzept, nach welchem dem nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch keine erbschaftsteuer- und schenkungsteuerrechtliche Bedeutung zukommt, wäre es schlichtweg schwerlich vereinbar, wenn man in dem Umstand, dass der Berechtigte das vorübergehende Nichtgeltendmachen des Anspruchs nicht von einer Verzinsung abhängig macht, eine freigebige Zuwendung des Berechtigten an den Verpflichteten sehen würde.
b) Die "Geltendmachung" des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben, wozu der Berechtigte seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden, die Höhe des Anspruchs aber nicht beziffern muss. In der Stundungsvereinbarung durch Vertrag vom 01.02.1987 konnte ein solches ernstliches Erfüllungsverlangen schon deshalb nicht gesehen werden, weil der Pflichtteil für M angesichts der Tatsache, dass die Stundung bis zu...