Bemessung der Schenkungsteuer bei niedrig verzinsten Darlehen
Blick in die aktuelle Rechtslage
Wird ein unverzinsliches oder niedrig verzinsliches Darlehen gewährt, ist der als freigebige Zuwendung anzusetzende Kapitalwert für ein unverzinsliches oder niedrig verzinsliches Darlehen nach Maßgabe von § 15 Abs. 1 BewG zu bemessen. An anderer Wert als 5,5 % kann nur dann angewandt werden, wenn ein anderer Wert „feststeht“.
Offene Frage
Der BFH musste sich nunmehr mit der Frage befassen, ob in einer unter dem Marktzins liegenden Darlehensgewährung eine freigebige Zuwendung liegt und – wenn ja – wie diese zu bewerten ist.
Sachverhalt: Darlehensgewährung mit niedriger Verzinsung
Der der BFH-Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Beerbt wurde der in 2007 verstorbene Erblasser A durch seine Schwester B (Vorerbin) und dem leiblichen Sohn (Kläger) als Nacherbe.
- Die Nacherbschaft trat mit der Volljährigkeit des Nacherbens ein.
- Die leibliche minderjährige (uneheliche) Tochter C des Erblassers wurde testamentarisch nicht bedacht; ihr Pflichtteilsanspruch belief sich auf rd. 2 Mio. EUR.
- Nach einem Prozessvergleich schloss C – vertreten durch einen Ergänzungspfleger – mit dem Kläger am 3.11.2016 einen „Darlehensvertrag mit Bestellung einer Grundschuld“ zu einem Zinssatz von 1 % ab.
- Das Darlehen galt als mit dem 1.1.2016 als ausgezahlt. Es wurde erst aufgrund eines rechtskräftigen amtsgerichtlichen Beschlusses v. 23.3.2017 wirksam.
- Die Darlehenshöhe betrug – unter Berücksichtigung von Vorzahlungen des Klägers an C – rd. 1,875 Mio. EUR.
- Das Darlehen wurde auf unbestimmte Zeit gewährt und konnte erstmals zum 31.12.2019 gekündigt werden.
- Nach der Statistik der Deutschen Bundesbank wäre ein Effektivzinssatz zwischen 2,67 % und 2,81 % für vergleichbare Darlehen marktüblich gewesen.
- Erst im Januar 2018 – also im Laufe des Prozesses – wurde ein Zinsvergleichsangebot – rückwirkend auf den 1.1.2016 – eingeholt.
Das Finanzamt ging von einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 785.008 EUR zum 1.1.2016 aus. In der verbilligten Überlassung der Darlehenssumme zur Nutzung sah es eine freigebige Zuwendung in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Zinssatz von 1 % und dem Zinssatz für den einjährigen Betrag der Nutzung einer Geldsumme gemäß § 15 Abs. 1 BewG in Höhe von 5,5 %. Da es sich um Nutzungen und Leistungen von ungewisser Dauer handelte, bewertete es den Nutzungsvorteil gemäß § 13 Abs. 2 Halbsatz 2 BewG mit dem 9,3 fachen des Jahreswerts in Höhe von 84.409,56 (1.875.768,05 EUR x 4,5 %), also mit 785.008,91 EUR.
FG Mecklenburg-Vorpommern: Niedriger marktüblicher Zins muss vom Steuerpflichtigen nachgewiesen werden
Das FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil v. 27.4.2022, 3 K 273/20) ging ebenfalls von einer steuerpflichtigen freigebigen Zuwendung aufgrund der marktunüblich niedrigen Verzinsung eines Darlehens aus. Die Zuwendungshöhe wurde unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 5,5 % ermittelt; es fehle am Nachweis eines niedrigeren marktüblichen Zinssatzes.
Entscheidung des BFH: Revision ist begründet
Der BFH ging mit Urteil vom 31.7.2024 (II R 20/20) zwar von einer freigebigen Schenkung durch die Gewährung eines nicht marktüblich verzinsten Darlehens aus. Bei der Bemessung des Zinsvorteils wurde aber nicht der Zinssatz von 5,5 %, sondern ein niedrigerer Zinssatz herangezogen.
Freigebige Zuwendung aufgrund verbilligter Darlehensgewährung liegt vor
Die Gewährung eines niedrig verzinsten Darlehens ist objektiv als freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG anzusehen (Rz. 15). Gegenstand der Zuwendung ist die teilweise unentgeltliche Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital zu nutzen.
Eine freigebige Zuwendung setzt zudem in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit voraus (Rz. 11).
Hiervon ging der BFH im Entscheidungsfall aus. Sowohl der Schwester des Klägers als auch dem Rechtsanwalt als Ergänzungspfleger musste bei einem Zinssatz von 1 % und einer grundsätzlich unbestimmten Laufzeit bewusst gewesen sein, dass das Darlehen teilweise unentgeltlich gewährt wurde.
Nicht ausschlaggebend für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands der freigebigen Zuwendung ist, ob der Ergänzungspfleger mit Abschluss des Darlehens zivilrechtlich ordnungsgemäß gehandelt hat, oder ob die Beteiligten davon ausgingen, dass eine alternative und zugleich sichere Anlage des Geldes zu keinem höheren Zinssatz möglich gewesen wäre.
Ausführung der freigebigen Zuwendung am 1.1.2016
Die freigebige Zuwendung ist am 1.1.2016 ausgeführt und die Schenkungsteuer ist an diesem Tag entstanden (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Begründet wird dies damit, dass das Darlehen als zum 1.1.2016 ausgezahlt galt. Dies gilt, obwohl der Darlehensvertrag erst durch amtsgerichtlichen Beschluss am 23.03.2017 rückwirkend wirksam wurde (Rz. 17).
Höhe der freigebigen Zuwendung
Bei niedrig verzinsten Darlehen, die auf unbestimmte Zeit abgeschlossen sind, ist die für die schenkungsteuerrechtliche Steuerberechnung maßgebliche Zinsdifferenz aus dem Unterschied zwischen dem vereinbarten Zinssatz und dem sich aus § 15 Abs. 1 BewG ergebenden Zinssatz zu bilden.
Durch die Formulierung des zweiten Halbsatzes in § 15 Abs. 1 BewG "wenn kein anderer Wert feststeht" hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich von dem gemeinen Wert der Nutzung in Höhe von 5,5 % auszugehen ist, ein anderer Wert aber dann herangezogen werden kann, wenn dieser feststeht (Öffnungsklausel; Rz. 19).
Im Entscheidungsfall ging der BFH von dem Feststehen eines anderen Werts (Höhe: 2,81 %) aus. Es kommt nicht darauf an, dass dieser Zinssatz durch Vergleichsangebote nachgewiesen wird.
Praxisfolgen
Der Rezensionsentscheidung kommt Bedeutung für unbefristete niedrig verzinste Darlehen zu. Hierfür lässt der Gesetzgeber für die Bemessung der freigebigen Zuwendung einen unter 5,5 % liegenden Wert zu, wenn dieser andere Wert feststeht. Schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 1 BewG ergibt sich keine unmittelbare Nachweispflicht des niedrigeren Werts.
Ist die Kapitalüberlassung auf eine bestimmte Zeit beschränkt, geht der Gesetzgeber von einem Zinssatz von 5,5 % aus. Ein feststehender niedrigerer Zinssatz kann nicht herangezogen werden. Das Fehlen einer Regelung für den Ansatz eines niedrigeren Vergleichswerts ist m. E. verfassungsrechtlich bedenklich. Wie der BFH, Beschluss v. 8.5.2024 (VIII R 9/23) zur Höhe der AdV-Zinsen zeigt, dürfte eine Ungleichbehandlung von Kapitalüberlassungen für eine bestimmte und für eine unbestimmte Zeit vorliegen.
Die aktuelle BFH-Entscheidung ist auch für einen verbilligten Zins zwischen Eltern und Kindern bedeutsam, weil durch Anwendung der BFH-Rechtsprechung ein niedrigerer persönlicher Freibetrag verbraucht wird. Der niedrigere Wert muss „feststehen“ – gleichwohl sollte der Begünstigte Dokumentationen für den feststehenden Wert vorhalten. Vergleichsangebote sollten zum Besteuerungszeitpunkt eingeholt werden; alternativ wäre ein vergleichbarer Bundesbankzinssatz zu ermitteln und zu dokumentieren.
Offen ist gegenwärtig, ob freigebige Zuwendungen von Zinsvorteilen gleichzeitig auch als fiktive einkommensteuerpflichtige Zinserträge zu qualifizieren sind. M. E. zu Recht sieht das FG Schleswig-Holstein einen Vorrang der Besteuerung nach dem ErbSt-Recht vor der einkommensteuerlichen Erfassung (Schleswig-Holsteinisches FG, Urt. v. 17.9.2024, 4 K 34/24, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 30/24).
BFH, Urteil v. 31.7.2024, II R 20/22; veröffentlicht am 28.11.2024
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