Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
* § 63 EStG, nach dem für Kinder, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedsstaat der EU oder einem gleichgestellten Land haben, kein Kindergeld gewährt wird, ist nicht verfassungswidrig.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 6 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger war der Vater einer in Thailand bei ihrer Mutter – und seiner Lebensgefährtin – lebenden Tochter. Er unterhielt die Familie. Im März 1997 beantragte er, ihm für die Tochter Kindergeld zu gewähren.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass Kinder, die weder einen festen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, gem. § 63 EStG nicht berücksichtigt werden könnten.
Entscheidung
FG (EFG 1998, 1418) und BFH bestätigten diese Beurteilung. Dem Gesetzgeber stehe bei der Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang er Kindergeld gewähren wolle, ein weiter Gestaltungsspielraum zu; Einschränkungen ergäben sich weder aus dem allgemeinen Gleichheitssatz noch aus der Verpflichtung des Staats zum Schutz der Ehe und Familie. Daran habe sich durch die Umstellung des Systems für die Gewährung von Kindergeld ab 1.1.1996 nichts geändert.
Die Versagung eines Anspruchs auf Kindergeld würde den Kläger nur dann in seinen verfassungsrechtlichen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verletzen, wenn damit gleichzeitig auch die Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums der unterhaltsberechtigten Tochter bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer abgelehnt worden wäre. Die Ablehnung des Antrags auf Kindergeld umfasse aber nicht gleichzeitig die Entscheidung, dass ein Betrag in Höhe des Existenzminimums dieser Kinder nicht von der Einkommensteuer freigestellt werde.
Hinweis
Das BVerfG hatte bereits 1990 zum Bundeskindergeldgesetz dargelegt, dass sich aus dem Gebot der Förderung der Familie noch keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ergeben. Insbesondere lasse sich aus Art. 6 GG kein Anspruch auf Kindergeld für die Kinder herleiten, die nicht in Deutschland wohnten.
Inzwischen hat sich allerdings das gesetzliche Konzept des Kindergeldrechts geändert. Das bisherige "duale" System der Kumulation von Kindergeld und Kinderfreibetrag wurde mit Wirkung vom 1.1.1996 umgestellt; das Konzept ist nunmehr ein rein steuerrechtliches: Die Freistellung des Einkommensbetrags der Eltern in Höhe des Existenzminimums ihrer Kinder wird durch ein laufendes Kindergeld und – wenn dieses zur Freistellung des Existenzminimums nicht ausreicht – durch einen Steuerfreibetrag bei der Einkommensteuerveranlagung bewirkt und die für den Bürger günstigste Lösung von Amts wegen herbeigeführt (§ 31 EStG). Es war deshalb fraglich, ob die Rechtsprechung des BVerfG auch für die neue Rechtslage gilt.
Sowohl der VI. als auch der VIII. Senat des BFH haben diese Frage bejaht und darauf hingewiesen, dass sich nach deutschem Recht keine Verpflichtung ergebe, im Ausland lebende Kinder deutscher Staatsangehöriger generell bei der Gewährung von Kindergeld zu berücksichtigen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der BFH weiterhin davon ausgeht, das Kindergeld sei eine Sozialleistung, für deren Gewährung dem Gesetzgeber ein weitergehender Gestaltungsspielraum zustehe als bei einer rein steuerrechtlichen Qualifikation des Kindergeldes (zum Problem vgl. u.a. Greite, in Korn, EStG, § 63 RZ 17). Der VIII. Senat hat inzwischen auch in anderem Zusammenhang auf die Zuordnung des Kindergelds zu den Sozialleistungen hingewiesen (vgl. u.a. Urteil vom 26.2.2002, VIII R 92/98, BFH-PR 2002, 247).
Einschränkungen dieses Spielraums ergeben sich aber insbesondere aus Gemeinschaftsrecht (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 30.1.1997, 1 531-548: Verbot der Diskriminierung von im Inland und im EU-Ausland lebenden Kindern bei Familienleistungen). Zu berücksichtigen ist auch, dass ein Kindergeldanspruch bei im Ausland lebenden Kindern auch dann bestehen kann, wenn mit dem jeweiligen Staat entsprechende Sozialabkommen abgeschlossen wurden (sog. Abkommenskindergeld, DA-FamEStG 63.6.2 Abs. 2, BStSl I 2000, 639).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.2.2002, VIII R 85/98