Leitsatz
Auch im mehrjährigen Besteuerungszeitraum der Abwicklung einer Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 1 KStG ist der sog. Sockelbetrag der Mindestbesteuerung von 1 Mio. EUR (§ 10d Abs. 2 Satz 1 EStG) nur einmal und nicht mehrfach für jedes Kalenderjahr des verlängerten Besteuerungszeitraums anzusetzen.
Normenkette
§ 11 Abs. 1, 6 und 7 KStG, § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem zum 1.1.2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH. Die KSt-Veranlagung erfolgte im Rahmen der Liquidationsbesteuerung gem. § 11 KStG für die Streitjahre 2003 bis 2005. Mit seiner Klage begehrte der Kläger, mit Blick auf zwei Gewinnjahre im dreijährigen Besteuerungszeitraum den Grundabzugsbetrag von 1 Mio. EUR nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG zu verdoppeln.
Die Klage war erfolgreich (FG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2012, 6 K 2199/09 K, Haufe-Index 2973735, EFG 2012, 1387).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und gab dem FA in der Sache recht: Der Grundabzugsbetrag sei nur einmal innerhalb des Liquidations-Besteuerungszeitraums nach § 11 Abs. 2 KStG anzusetzen.
Hinweis
Das Urteil betrifft die Liquidationsbesteuerung von Kapitalgesellschaften:
1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KStG ist bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft, die nach ihrer Auflösung abgewickelt wird, der im Zeitraum der Abwicklung erzielte Gewinn der Besteuerung zugrunde zu legen; Besteuerungszeitraum ist also in diesem Fall grundsätzlich nicht das einzelne Kalenderjahr, sondern der gesamte Abwicklungszeitraum.
§ 11 Abs. 1 Satz 2 KStG bestimmt aber, dass in Liquidationsfällen der Besteuerungszeitraum drei Jahre nicht überschreiten soll. Die Vorschrift dient der Sicherung des Steueranspruchs und namentlich der Vermeidung von Schwierigkeiten, die sich bei einer streng auf den gesamten Abwicklungszeitraum abstellenden Besteuerung daraus ergeben könnten, dass die Liquidation lange andauert oder nur zum Schein durchgeführt wird.
Diesem Ziel entsprechend gewährt § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG der Finanzbehörde das Recht, bei einer Überschreitung des Drei-Jahres-Zeitraums die in der Abwicklungsphase bisher entstandene Steuer in einer "Zwischenveranlagung" festzusetzen.
2. Vor diesem Regelungshintergrund könnte erwogen werden, dass bei der sog. Mindestbesteuerung des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG der – als "Verschonungsschwelle" gedachte – sog. Sockelbetrag von 1 Mio. EUR mehrfach gewährt werden muss, nämlich für jedes "gewinnträchtige" Wirtschaftsjahr des mehrjährigen (max. dreijährigen) Besteuerungszeitraums. Der BFH lehnt das aber ab und gewährt den Betrag nur einmal:
Der besondere (Abwicklungs-)Zeitraum nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KStG tritt an die Stelle des im Normalfall der Besteuerung maßgebenden Kalenderjahres. Der Abwicklungszeitraum ist unabhängig von seiner Dauer ein einheitlicher VZ, der ggf. länger sein kann als ein Kalenderjahr. Dies strahlt auf die im Bereich des § 11 KStG anzuwendenden Gewinnermittlungsvorschriften und damit auch auf § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG aus. Es genügt dazu die "allgemeine" Rechtsgrundverweisung in § 11 Abs. 6 KStG.
3. Dieses Rechtsverständnis kann sich in dem einen Einzelfall als nachteilig, in dem anderen aber auch als vorteilhaft herausstellen.
Nachteilig gestaltet sich der einheitliche Besteuerungszeitraum in Kombination mit der Mindeststeuer, wenn im Zeitpunkt der Auflösung der dann vorhandene Verlustvortrag mit Gewinnen ausgeglichen werden soll. Die nur einmalige Gewährung des "Sockels" im Liquidations-VZ schadet hier.
Es sind aber auch vorteilhafte, gegenüber dem "Normalfall" besserstellende Konstellationen vorstellbar: Der Auflösung geht eine Gewinnsituation voran, und auch im ersten Kalenderjahr der Abwicklung wird ein Gewinn erzielt. Die Verluste folgen erst im Anschluss daran im zweiten und dritten (= letzten) Kalenderjahr der Abwicklung, und sie sind auch höher als der Gewinn des ersten Kalenderjahres. Dann ermöglicht der verlängerte Liquidations-Besteuerungszeitraum die volle Verlustverrechnung und sogar einen Verlustrücktrag in das vorangehende Vor-Abwicklungsjahr.
Das alles zeigt, dass die Vor- und Nachteile dem typisierenden Charakter des verlängerten Besteuerungszeitraums geschuldet sind, und insoweit werden sie hinzunehmen sein.
4. Über alledem "schwebt" die Frage danach, ob die Mindestbesteuerung überhaupt verfassungskonform ist. Der BFH hat das kürzlich "im Prinzip" bejaht (Urteil vom 22.8.2012, I R 9/11, BFH/NV 2013, 161, BFH/PR 2013, 41). Es bleibt allerdings immer noch unbeantwortet, ob eine andere Einschätzung geboten ist, wenn die "gestreckten" Verluste "definitiv" werden und sich schlechterdings gar nicht mehr steuerlich auswirken. Der Urteilsfall gab immer noch keine Gelegenheit, an dieser "offenen Flanke" etwas zu ändern. Tendenziell ist es aber eher unwahrscheinlich, dass das "Verfassungsmanko" tatsächlich in § 10d Abs. 2 EStG gefunden wird.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.1.2013 – I R 35/12