Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Die Frist für die Erhebung der Klage gilt nach § 47 Abs. 2 FGO auch dann als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, innerhalb der Monatsfrist angebracht wird. Für die Fristwahrung ist allerdings die Einhaltung der geltenden Formvorschriften erforderlich.
Sachverhalt
Die durch einen Steuerberater vertretenen Kläger legten gegen die Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2019 Einspruch ein, ohne diese zu begründen. Das Finanzamt wies die Einsprüche mit einheitlicher Einspruchsentscheidung zurück. In der Folge erhob der Steuerberater in Papierform Klage, die er in den Briefkasten des Finanzamts einwarf. Dieses übermittelte die Klage an das FG.
Das FG stellte die Zulässigkeit der Klage infrage, weil sie nicht über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) erhoben worden sei. Dem trat der Steuerberater mit der Begründung entgegen, er habe die Klagefrist nach § 47 Abs. 2 FGO gewahrt, indem er die Klage am letzten Tag der Frist in den Briefkasten des Finanzamts eingelegt habe. Eine Pflicht zur elektronischen Einreichung der Klage habe für ihn insoweit nicht bestanden. Die Regelung des § 52d FGO beziehe sich lediglich auf Einreichungen bei Gericht, während die Sonderregelung des § 47 Abs. 2 FGO die Einreichung beim Finanzamt als postalischen Adressaten betreffe.
Hilfsweise - für den Fall der Fristversäumnis - beantragte er Wiedereinsetzung in die Klagefrist und holte die Klageerhebung durch einen über das beSt übermittelten Schriftsatz vorsorglich nach.
Entscheidung
Das FG hat entschieden, dass die Klage unzulässig ist, da sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben wurde. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FG ebenfalls abgelehnt.
Die Frist für die Erhebung der Klage gelte nach § 47 Abs. 2 FGO zwar als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde innerhalb der Frist angebracht werde. Der Steuerberater habe von dieser Möglichkeit vordergründig innerhalb der Monatsfrist dergestalt Gebrauch gemacht, dass er die Klage beim Finanzamt eingeworfen habe. Mit der Klageerhebung in Schriftform habe er indes die Klage nicht zur Fristwahrung im Sinne des § 47 Abs. 2 FGO"anbringen" können. Denn für die fristwahrende Übermittlung an das Finanzamt sei die Einhaltung der geltenden Formvorschriften erforderlich.
Richtigerweise dispensiere § 47 Abs. 2 FGO nicht von der geltenden elektronischen Einreichungspflicht nach § 52d FGO. Mit anderen Worten: Derjenige, den die elektronische Einreichungspflicht gegenüber dem FG nach § 52d FGO treffe, müsse die elektronische Übermittlung nach § 52a FGO auch bei Beschreiten des Weges nach § 47 Abs. 2 FGO wählen. Denn es seien keine Gründe dafür erkennbar, an eine beim Finanzamt eingereichte Klage geringere Formalanforderungen zu stellen. Für dieses Ergebnis spreche insbesondere schon die systematische Stellung des § 47 Abs. 2 FGO, da ihm keine Regelung zur Form innewohne. § 47 FGO regele lediglich die Klagefrist.
Es sei auch keine Widereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die vermeintlich "nicht vorhersehbare Verschärfung der Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften" exkulpiere den Steuerberater nicht. Irre der Prozessbevollmächtigte über Verfahrensfragen, könne Wiedereinsetzung im Allgemeinen nicht gewährt werden.
Hinweis
Die Kläger haben beim BFH die vom FG zugelassene Revision eingelegt, Az beim BFH X R 12/24. Es spricht allerdings vieles dafür, dass § 52d FGO auch bei einer nach § 47 Abs. 2 FGO beim Finanzamt angebrachten Klage zu beachten ist, denn § 47 Abs. 2 AO betrifft nur die Frist und nicht die Form. Es ist daher dringend zu empfehlen, bis zu einer höchstrichterlichen Klärung als Steuerberater sicherheitshalber § 52d FGO auch im Rahmen von § 47 Abs. 2 FGO zu beachten, d. h. auch bei Anbringung bei der Behörde die Klage auf elektronischem Wege zu erheben. Allerdings stellt sich dann die Frage, welche Vorteile die Anbringung der Klage bei der Behörde für den Steuerberater bietet, da er das elektronische Dokument auch gleich direkt an das Gericht übermitteln kann.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil v. 16.04.2024, 13 K 115/23