Leitsatz
1. Die Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG kann bis zum Ablauf des letzten Tages der Festsetzungsfrist, mithin bis 24:00 Uhr, beantragt werden (Abweichung vom BFH-Urteil vom 20.01.2016 – VI R 14/15, BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380).
2. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird gemäß § 171 Abs. 3 AO nur dann gehemmt, wenn die für die Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG erforderliche Steuererklärung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist beim örtlich zuständigen Finanzamt eingeht (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 10.07.1987 ‐ VI R 160/86, BFHE 150, 543, BStBl II 1987, 827: Antragsfrist beim Lohnsteuer-Jahresausgleich gemäß § 42c Abs. 2 EStG a.F.).
Normenkette
§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, § 17, § 19, § 127, § 171 Abs. 3 AO, § 42c Abs. 2 Satz 1 EStG a.F.
Sachverhalt
Der Kläger erzielte im Streitjahr (2009) Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Letztere lagen unterhalb des Sparer-Pauschbetrags gemäß § 20 Abs. 9 EStG. Die Einkommensteuererklärung des Klägers für das Streitjahr warf seine heutige Ehefrau am 31.12.2013 gegen 20:00 Uhr beim FA X 1 in den Nachtbriefkasten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des beklagten FA X 2. Dort ging die Erklärung erst im Jahr 2014 ein. Das FA X 2 lehnte den Antrag auf Durchführung der Veranlagung zur ESt ab, da die Voraussetzungen gemäß § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG für eine Veranlagung von Amts wegen nicht vorlägen und der Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nicht innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden sei. Das FG gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt (FG Köln, Urteil vom 23.5.2017, 1 K 1637/14, Haufe-Index 11364990, EFG 2017, 1736).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen ausgeführten Gründen aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird, soweit – wie im Streitfall – die Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG nicht vorliegen, eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 EStG nur durchgeführt, wenn die Veranlagung beantragt wird, insbesondere zur Anrechnung von LSt auf die ESt.
2. Der Antrag ist durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG). Da die Regelung keine zeitliche Befristung mehr enthält, kann der Antrag bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt werden (BFH, Urteil vom 20.1.2016, VI R 14/15, BFH/NV 2016, 801, BStBl II 2016, 380; BFH, Urteil vom 30.3.2017, VI R 43/15, BFH/NV 2017, 972, BStBl II 2017, 1046).
3. Die Festsetzungsfrist für die ESt beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre.
a) Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO).
Keine Anlaufhemmung
Der Beginn der Frist wird im Fall der Antragsveranlagung (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG) nicht gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf den Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, bzw. spätestens auf den Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung folgt, hinausgeschoben (BFH, Urteil vom 14.4.2011, VI R 53/10, BFH/NV 2011, 1410, BStBl II 2011, 746).
b) Allerdings wird der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3 AOgehemmt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung gestellt wird. Die Festsetzungsfrist läuft insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist.
c) Ein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO – hier die Einkommensteuererklärung 2009 – setzt die Ablaufhemmung jedoch nur in Gang, wenn er vor dem Ablauf des letzten Tages der Festsetzungsfrist bis 24:00 Uhr bei der zuständigen Behörde eingeht.
d) Nicht erforderlich ist, dass der Antrag innerhalb der Dienstzeiten des FA am letzten Tag der Frist gestellt wird oder das FA von dessen Inhalt zu den behördenüblichen Zeiten Kenntnis nehmen kann. Ein derart einengendes Verständnis des Laufs der Festsetzungsfrist ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. An der insoweit anderslautenden Rechtsauffassung hält der BFH nicht länger fest (vgl. BFH, Urteil vom 20.1.2016, VI R 14/15, BFH/NV 2016, 801, BStBl II 2016, 380).
4. Die Festsetzungsfrist ist aber nur gewahrt, wenn der Antrag bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist beim zuständigen FA eingeht. Die Antragstellung bei einem anderen FA führt dagegen nicht zu einer Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO.
5. Soweit der BFH zu der früheren Regelung in § 42c Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. entschieden hat, dass die Frist zur Abgabe des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich auch durch die Abgabe des Antrags bei einem für die Durchführung des Jahresausgleichs örtlich unzuständigen FA gewahrt wird (s. BFH, Urteil vom 10.7.1987, VI R 160/86, BStBl II 1987, 827), überträgt er diese Rechtsprechung mangels Ver...