Leitsatz
Die Art. 43 EG und 56 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach die Einkünfte einer im Inland ansässigen Person aus Kapitalanlagen in einer Niederlassung mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ungeachtet eines DBA mit dem Mitgliedstaat des Sitzes dieser Niederlassung nicht von der inländischen ESt freigestellt sind, sondern unter Anrechnung der im anderen Mitgliedstaat erhobenen Steuer der inländischen Besteuerung unterliegen.
Normenkette
§ 20 Abs. 2 und 3 AStG, Art. 43, Art. 56 EG
Sachverhalt
Columbus ist eine KG belgischen Rechts mit Sitz in Belgien. Sie ist ein Koordinationszentrum im Sinn der (belgischen) Königlichen Verordnung Nr. 187.
An Columbus sind acht in Deutschland ansässige Angehörige derselben Familie mit einem Anteil von jeweils 10 % und eine deutsche Personengesellschaft, deren Anteile ebenfalls Mitgliedern dieser Familie gehören, mit 20 % beteiligt. In der Gesellschafterversammlung von Columbus werden alle Anteilsinhaber durch dieselbe Person vertreten.
Columbus gehört zu einer international bedeutenden Unternehmensgruppe. Ihr Gesellschaftszweck ist die Koordinierung der Aktivitäten dieser Gruppe. Dazu gehören u.a. die Zentralisierung der finanziellen Transaktionen und der Buchführung, die Finanzierung der Liquidität der Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen, die elektronische Datenverarbeitung sowie Werbe- und Marketingaktivitäten. Die wirtschaftliche Tätigkeit von Columbus besteht im Wesentlichen in der Verwaltung von Kapitalanlagen i.S.v. § 10 Abs. 6 Satz 2 AStG. Durch diese Verwaltungstätigkeit erzielte Columbus 1996 "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" i.H.v. rd. 8 Mio. DM und "sonstige Einkünfte" i.H.v. rd. 53 000 DM.
1996 besteuerte die belgische Steuerverwaltung den von Columbus tatsächlich erzielten Gewinn zu dem für Koordinationszentren geltenden Steuersatz, der sich konkret auf weniger als 30 % belief.
Das FA qualifizierte die sonstigen Einkünfte von Columbus nach § 20 Abs. 2 AStG als steuerfrei, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegend. Die von Columbus erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb hingegen besteuerte das FA bei den Gesellschaftern unter Anrechnung der darauf in Belgien erhobenen Steuer.
Das FG hat auf die anschließende Klage beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen (EFG 2004, 1374).
Entscheidung
Der EuGH hat in der Versagung der Steuerfreistellung nach Maßgabe des DBA Belgien wider Erwarten keinen Gemeinschaftsrechtsverstoß gesehen.
Hinweis
Es handelt sich um eine Entscheidung des EuGH, die in der Fachwelt mit einiger Gewissheit so nicht erwartet worden war:
1. Ausgangspunkt ist die Rechtslage nach Maßgabe des DBA Belgien.
Danach werden die Einkünfte aus Gewinnen, die eine deutsche Gesellschaft durch eine belgische Personengesellschaft erzielt, bei den in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen befreit.
Wenn jedoch die in Belgien erzielten Gewinne einer solchen Gesellschaft wie im Ausgangsverfahren nach belgischem Steuerrecht mit weniger als 30 % besteuert werden, sieht § 20 Abs. 2 AStG vor, dass diese Einkünfte ungeachtet des DBA bei den in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen nicht von der ESt freigestellt werden, sondern der deutschen Steuerregelung unterliegen, wobei die in Belgien erhobene Steuer auf den Betrag der in Deutschland geschuldeten Steuer angerechnet wird. § 20 Abs. 2 AStG enthält also ein "klassisches"Treaty overriding und "switcht" die an sich angeordnete Steuerfreistellung in eine Steueranrechnung um.
2. Der EuGH sieht darin keinen Gemeinschaftsrechtsverstoß.
Zwar werde der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet. Jedoch fehle eine Ungleichbehandlung. Denn richtiger Vergleichsmaßstab sei der Inländer und dessen Einkünfte aus einer Personengesellschaft und würden in Deutschland schließlich auch nicht von der Steuer befreit: "Durch die Anwendung der Anrechnungsmethode auf diese ausländischen Gesellschaften unterwirft die betreffende Regelung die Gewinne solcher Gesellschaften in Deutschland lediglich demselben Steuersatz wie die Gewinne von in Deutschland ansässigen Personengesellschaften."
Dass das DBA etwas anderes vorsieht, stört den EuGH nicht. Denn: "Das Gemeinschaftsrecht schreibt bei seinem gegenwärtigen Stand und in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der EG keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten untereinander vor. Dementsprechend ist ... bis heute im Rahmen des Gemeinschaftsrechts keine Maßnahme der Vereinheitlichung oder Harmonisierung zum Zweck der Beseitigung von Doppelbesteuerungstatbeständen erlassen worden."
Anders gewendet: Das neuerliche Urteil des EuGH enthält einen prinzipiellen europarechtlichen Freibrief für nationale Alleingänge in Gestalt von "DBA-überschreibenden" Gesetzen, eben sog. Treaty overriding. Solange im Ausland tätige inländische Gesellschaften nicht schlechter als vergleichbare inländische Niederlassungen...