Leitsatz
Es entstehen keine Säumniszuschläge, wenn aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters Steuern, die bis zum Ablauf des Fälligkeitstages vom Insolvenzschuldner gezahlt wurden, zurückgewährt werden.
Normenkette
§ 240, § 224 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 AO, § 143, § 144 InsO
Sachverhalt
Über das Vermögen des A eröffnete das Amtsgericht X mit Beschluss im Mai 2013 das Insolvenzverfahren.
Der Kläger und Revisionskläger als Insolvenzverwalter des A erklärte im September 2013 der Kläger gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) die Anfechtung von Zahlungen des A. Im Januar 2014 einigten sich die Beteiligten, dass das FA 350.000 EUR zur Abgeltung des Anfechtungsanspruchs an die Insolvenzmasse zahlt. Dabei verbuchte das FA die Rückzahlung auf die bereits erloschenen Steuerschulden und steuerlichen Nebenleistungen, die als letzte vom Insolvenzschuldner beglichen worden waren.
Das FA nahm an, aufgrund der Rückzahlung seien ab dem Datum der ursprünglichen Fälligkeit der Steuerschulden bis zum Tag der Insolvenzeröffnung Säumniszuschläge entstanden. Es meldete diese i.H.v. 71.120 EUR zur Insolvenztabelle an. Dieser Betrag wurde vom Kläger bestritten. Das FA stellte daraufhin die streitigen Säumniszuschläge durch Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO i.V.m. § 179 Abs. 1 InsO fest. Die Höhe betrug nunmehr 81.036,80 EUR. Ein Einspruch blieb erfolglos.
Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 26.5.2016, 11 K 10286/15, Haufe-Index 10128352, EFG 2017, 189) wies die Klage ab. A habe zwar die Steuerschulden und Nebenleistungen entrichtet, sodass zunächst keine Säumniszuschläge entstanden seien. Die Steuerschulden seien aber durch die Rückzahlung infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung wieder aufgelebt.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Der rückwirkende Entfall der Erfüllungswirkung des § 47 AO lasse nicht auch die Fiktion des Zeitpunkts der Zahlung gemäß § 224 Abs. 2 AO entfallen.
Hinweis
1.Ficht ein Insolvenzverwalter eine Zahlung des Steuerpflichtigen an das FA erfolgreich an, leben nach der Rückgewähr der gezahlten Beträge die zuvor gemäß § 47 getilgten Steuerschulden rückwirkend wieder auf. Die Wirkung der Tilgung ist insoweit bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist auflösend bedingt (vgl. BFH, Urteile vom 11.11.2008, VII R 19/08, BFH/NV 2009, 623, BFH/PR 2009, 193, BStBl II 2009, 342; BFH, Urteil vom 12.11.2013, VII R 15/13, BFH/NV 2014, 746, BFH/PR 2014, 206, BStBl II 2014, 359).
2. Führt dies nun dazu, dass rückwirkend auch Säumniszuschläge entstehen, obwohl die Steuer zunächst bezahlt war?
a) § 240 Abs. 1 Satz 1 AO setzt für das Entstehen von Säumniszuschlägen voraus, dass eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages "entrichtet" wird.
b) Der Begriff der Entrichtung ist der Oberbegriff für Zahlung (§ 224 AO), Aufrechnung (§ 226 AO) und die Befriedigung im Vollstreckungsverfahren (Heuermann in HHSp, § 240 AO Rz. 62; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO § 240 AO Rz. 30).
c) Wann die Steuer als "entrichtet" anzusehen ist, ergibt sich im Falle der Zahlung aus § 224 Abs. 2 AO. Eine wirksam geleistete Zahlung gilt danach als entrichtet:
- bei Barzahlung am Tag des Eingangs der Zahlungsmittel,
- bei Hingabe oder Übersendung von Schecks drei Tage nach dem Tag des Eingangs,
- bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird;
- bei Vorliegen einer Einzugsermächtigung am Fälligkeitstag.
d) Der Zeitpunkt der Zahlung und der Erfüllung sind nicht identisch (vgl. BFH, Beschluss vom 19.3.1999, VII B 158/98, BFH/NV 1999, 1304, unter 1.; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 224 AO Rz. 17; Alber in HHSp, § 224 AO Rz. 38). Dies kann sich zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen auswirken (vgl. BFH, Urteil vom 28.8.2012, VII R 71/11, BFH/NV 2013, 102, BFH/PR 2013, 68, BStBl II 2013, 103, Rz. 10).
e) Deshalb ändert auch der rückwirkende Entfall der Erfüllungswirkung im Fall der Rückzahlung der Steuer infolge Insolvenzanfechtung nichts an dem Umstand, dass die Steuer (zunächst) gezahlt war.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.11.2017 – XI R 14/16