Leitsatz
Ausbildungshilfen aus öffentlichen Kassen sind bei der Gewährung eines Ausbildungsfreibetrags grundsätzlich in voller Höhe zu berücksichtigen (Grundsatz der Vollanrechnung). Negative Einkünfte können mit derartigen Ausbildungshilfen nicht verrechnet werden.
Normenkette
§ 33a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG
Sachverhalt
Die 1980 geborene Tochter der Kläger war zwecks Ausbildung ab 1.8.1997 auswärtig untergebracht. Sie erhielt im Streitjahr eine Ausbildungsvergütung von insgesamt 4 395 DM. Das Arbeitsamt zahlte ihr zusätzlich eine Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von 2 640 DM. Die Werbungskosten betrugen 8 061,20 DM (Reinigungskosten, Fahrtkosten, Mietaufwendungen und Verpflegungsmehraufwendungen).
Mit ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 1997 beantragten die Kläger für die Tochter einen anteiligen Ausbildungsfreibetrag für die Monate August bis Dezember in Höhe von 750 DM. Sie waren der Auffassung, die Werbungskosten seien mit der Berufsausbildungshilfe zu verrechnen. Dies lehnte das FA im Einkommensteuerbescheid ab. Die dagegengerichtete Klage blieb vor dem FG und dem BFH erfolglos.
Entscheidung
§ 33a Abs. 2 Satz 2 EStG bestimmt, dass sich der Ausbildungsfreibetrag u.a. um die von dem Kind als Ausbildungshilfe aus öffentlichen Mitteln bezogenen Zuschüsse vermindert. Rechtsprechung und Schrifttum legten die Regelung in § 33a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG in der Weise aus, dass grundsätzlich Ausbildungshilfen aus öffentlichen Kassen in voller Höhe zu berücksichtigen seien. Eine Verrechnung mit negativen Einkünften scheide nicht nur nach dem klaren gesetzlichen Wortlaut, sondern auch nach dem im Wortlaut hinreichend zum Ausdruck gelangten gesetzgeberischen Zweck aus. Ebenso wenig sei von Verfassungs wegen eine derartige Verrechnung geboten.
Hinweis
Der Ausbildungsfreibetrag für auswärts untergebrachte Kinder in Berufsausbildung, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, beträgt 1 800 DM. Eigene Einkünfte des Kindes werden gegengerechnet, wenn sie 3 600 DM im Jahr übersteigen. Ausbildungshilfen aus öffentlichen Mitteln mindern den Ausbildungsfreibetrag in voller Höhe, denn zahlt der Gesetzgeber eine Ausbildungshilfe, braucht er daneben nicht noch einen Freibetrag zu gewähren.
Das Urteil beschäftigt sich mit der Frage, ob Ausbildungshilfen immer den Freibetrag mindern oder ob sie mit negativen Einkünften des Kindes verrechnet werden können. Befindet sich ein Kind in Ausbildung und übersteigen die Werbungskosten die Einnahmen, könnte die Auffassung vertreten werden, die Ausbildungshilfen seien zunächst mit den negativen Einkünften zu verrechnen und nur der übersteigende Betrag mindere den Ausbildungsfreibetrag. Dem ist der BFH jedoch nicht gefolgt, sondern hat sich der allgemeinen Meinung angeschlossen, nach der Ausbildungshilfen, ungeachtet der besonderen Einkünftesituation des Kindes, stets anzurechnen sind.
Die Anrechnung von Ausbildungshilfen ist gerechtfertigt, weil sich dadurch die Unterhaltsverpflichtungen der Eltern gegenüber ihren Kindern mindern. Der Gesetzgeber braucht nicht von einer Anrechnung absehen, weil im Einzelfall höhere Aufwendungen für die Berufsausbildung angefallen sind, als vom Gesetzgeber typisierend berücksichtigt. Vielmehr kann er vom Normalfall ausgehen. In Berufsausbildungshilfen ist eine monatliche Familienheimfahrt enthalten.
Erzielt ein Auszubildender negative Einkünfte, weil er während der Ausbildung auswärts in großer Entfernung zum Elternhaus untergebracht ist und zweimal im Monat nach Hause fährt, handelt es sich zwar aus Sicht des Kindes um Werbungskosten, der Gesetzgeber ist aber weder gehalten, den Ausbildungsfreibetrag aufzustocken noch staatliche Ausbildungshilfen zunächst mit den negativen Einkünften zu verrechnen. Der Gesetzgeber darf sich am Regelfall orientieren und braucht außergewöhnlichen Umständen nicht Rechnung zu tragen.
Der BFH hat lediglich in einer am Normzweck orientierten einschränkenden Auslegung der Vorschrift öffentliche Ausbildungshilfen dann nicht angerechnet, wenn sie für Maßnahmen geleistet werden, die Eltern aufgrund ihrer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsverpflichtung nicht hätten tragen müssen, denn in diesem Fall werden sie von ihrer Unterhaltspflicht nicht entlastet. Zum andern soll eine Anrechnung unterbleiben, wenn die Ausbildungshilfe eine besondere Leistung des Auszubildenden belohnen will oder die Anrechnung mit dem besonderen Förderungszweck – wie bei Auslandsstipendien – unvereinbar wäre (III R 47/00, BFH-PR 2002, 170 und III R 3/01, BFH-PR 2002, 54).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.3.2002, III R 22/01