Leitsatz (amtlich)
1. Der Zuständigkeitsstreitwert einer Stufenklage bestimmt sich allein nach dem Wert des Zahlungsantrags der dritten Stufe, weil die mit der ersten und zweiten Stufe verfolgten Ansprüche lediglich vorbereitenden Charakter haben und mit dem Leistungsantrag der dritten Stufe wirtschaftlich identisch sind (Festhaltung KG, Beschluss vom 15. April 2019 - 2 AR 12/19, MDR 2019, 957).
2. Die gegenteilige Auffassung erscheint jedoch jedenfalls nicht bereits objektiv willkürlich, weshalb ein hierauf gestützter Verweisungsbeschluss für das aufnehmende Gericht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend ist, soweit nicht ausnahmsweise besondere Umstände hinzutreten.
Normenkette
ZPO §§ 5, 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281
Verfahrensgang
AG Berlin-Lichtenberg (Aktenzeichen 16 C 145/23) |
LG Berlin (Aktenzeichen 60 O 99/24) |
Tenor
Das Landgericht Berlin II wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I. Der Kläger macht im Wege einer Stufenklage nach dem Tod seiner Mutter den Pflichtteilsanspruch gegen den testamentarischen Erben geltend. Den vorläufigen Streitwert der zunächst bei dem Amtsgericht Lichtenberg anhängig gemachten Klage hat er mit 5.000 Euro angegeben. Das angerufene Amtsgericht hat mit einer Verfügung vom 26. Oktober 2023 die Zustellung der Klage veranlasst, die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit hingewiesen. Zwar werde bei einer Stufenklage gemäß § 44 GKG für den Gebührenstreitwert nur der Wert des höheren der geltend gemachten Ansprüche angesetzt. Dies gelte jedoch nicht für den Zuständigkeitsstreitwert, der nach den §§ 2 ff. ZPO zu bestimmen sei. Danach sei dem in letzter Stufe derzeit mit 5.000 Euro zu bemessenden Hauptanspruch der Wert der Auskunftsstufe, die mit 1/5 des Hauptanspruchs zu bemessen sei (§ 3 ZPO), nach § 5 ZPO hinzuzurechnen, womit der Zuständigkeitsstreitwert die maßgebliche Grenze von 5.000 Euro übersteige.
Der Beklagte hat aufgrund dieses Hinweises die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Der Kläger hat nach einem weiteren Hinweis des Gerichts auf seine fehlende Zuständigkeit eine Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht beantragt. Das Amtsgericht hat sich hierauf mit einem Beschluss vom 21. Dezember 2023 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin (seit dem 1. Januar 2024: Landgericht Berlin II) verwiesen. Zur Begründung des Verweisungsbeschlusses hat es auf seine Verfügung vom 26. Oktober 2023 Bezug genommen.
Das Landgericht sieht sich durch die Verweisung in seiner Zuständigkeit nicht gebunden und hat sich nach Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 21. März 2024 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lichtenberg sei objektiv willkürlich und damit nicht bindend, weil sich das verweisende Gericht nicht mit der einhelligen Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung zur Höhe des Zuständigkeitsstreitwerts einer Stufenklage auseinandergesetzt habe.
II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen, weil die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte jeweils zu seinem Bezirk gehören.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind ferner auch der Sache nach gegeben, nachdem sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte mit ihren Beschlüssen vom 21. Dezember 2023 bzw. vom 21. März 2024 jeweils rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben.
3. Das Landgericht Berlin II ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Lichtenberg, an dessen Bindungswirkung (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO) keine im Ergebnis durchgreifenden Zweifel bestehen, sachlich zuständig geworden.
Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 9. J...