Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Ein Kind ist nicht nur dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG für das Kindergeld zu berücksichtigen, wenn es noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG
Sachverhalt
Der volljährige Sohn S des Klägers war im Streitjahr 1998 bis zum 31.5. als kaufmännischer Angestellter nichtselbstständig tätig. Von Juni bis zum 14.9. war er arbeitslos. Ab dem 15.9. besuchte er eine Berufsfachschule. Für den Schulbesuch hatte er sich zunächst am 13.1.1998 anmelden wollen, die Anmeldung war jedoch erst ein halbes Jahr vor Unterrichtsbeginn, also im März 1998 möglich.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Festsetzung von Kindergeld für S von März bis Dezember 1998 wegen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ab. Er vertrat die Ansicht, dass S aufgrund seiner Anmeldung bei der Berufsfachschule am 13.1.1998 ab Januar 1998 als ausbildungswilliges Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG anzusehen sei mit der Folge, dass die Einkünfte des S ab Januar 1998 zu berücksichtigen seien. Das FG gab der Klage für die Monate September bis Dezember 1998 statt; im Übrigen wies es die Klage ab (EFG 2000, 445).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück, soweit sie den Anspruch auf Kindergeld für die Monate April und Mai 1998 betraf. Für diese Monate stehe dem Kläger nach ständiger Rechtsprechung kein Kindergeld für S zu, weil dieser noch einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen sei.
Hinsichtlich des Anspruchs auf Kindergeld für die Monate Juni bis August 1998 sei die Revision begründet. S sei in dieser Zeit gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG als ein Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen könne, für das Kindergeld zu berücksichtigen. Ein Mangel eines Ausbildungsplatzes i.S. dieser Vorschrift liege nicht nur dann vor, wenn das Kind noch keinen Ausbildungsplatz gefunden habe, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt worden sei, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt habe antreten können.
Die Bestimmung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG, die Kindergeld nur gewähre, wenn zwischen zwei Ausbildungsabschnitten ein Zeitraum von vier Monaten nicht überschritten sei, begrenze den Anspruch aus § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG nicht; sie gelte nur für den Fall, dass ein Ausbildungsplatz bei ernsthaftem Bemühen und objektiver Eignung hätte gefunden werden können.
Hinweis
Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG wird ein Kind beim Familienleistungsausgleich berücksichtigt, wenn es mangels Ausbildungsplatzes seine Ausbildung nicht beginnen oder fortsetzen kann. Diese Voraussetzung ist stets erfüllt, wenn das Kind trotz ausreichenden Bemühens noch keinen Arbeitsplatz gefunden hat oder diesen aus Gründen nicht antreten kann, die es nicht zu vertreten hat, z.B. weil es aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen daran gehindert ist. Der Kindergeldanspruch ist bei fehlendem Arbeitsplatz zeitlich nicht begrenzt.
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass § 32 Abs. 4 Satz Nr. 2b EStG Kindergeld nur gewährt, wenn die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nicht länger als vier Monate dauert. Es handelt sich bei dieser Bestimmung lediglich um eine vereinfachende Auffangvorschrift, mit der der Gesetzgeber unterstellt, dass das Kind in diesem Zeitraum daran gehindert ist, seine Ausbildung fortzusetzen. Sie hat praktische Bedeutung nur für den Fall, dass ein Ausbildungsplatz vorhanden ist, für den das ausbildungswillige Kind objektiv geeignet ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.7.2003, VIII R 77/00