Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Zu Unrecht ausbezahlter Arbeitslohn gehört auch dann zu den Einkünften und Bezügen des Kindes im Sinn von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, wenn der überzahlte Betrag im nächsten Jahr vom Arbeitgeber zurückgefordert wurde.
Normenkette
§ 37 Abs. 2 AO , § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Die Tochter T der Klägerin arbeitete neben ihrem Studium in einer Apotheke. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit betrugen insgesamt 14 558 DM. In diesem Betrag waren 560 DM enthalten, die T im September 1997 aufgrund eines Buchungsfehlers des Arbeitgebers zu viel erhalten hatte. Der Betrag wurde im Januar 1998 von ihrem Gehalt abgezogen.
Der Beklagte berücksichtigte die Rückzahlung nicht, sondern setzte das Kindergeld für 1997 wegen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags auf 0 DM fest und forderte das gezahlte Geld zurück. Das FG hat die Klage abgewiesen (EFG 1999,1236).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil des FG. Der überzahlte Betrag gehöre jedenfalls zu den Bezügen im Sinn von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG; er sei im Jahr 1997 zu berücksichtigen, weil er in diesem Jahr zugeflossen sei; Zuflüsse und Abflüsse in anderen Jahren blieben außer Betracht. Überschusseinkünfte und Bezüge unterschieden sich insoweit nicht.
Die Rückerstattung des überzahlten Betrags wirke auch nicht in das Vorjahr zurück (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AG); Zuflüsse und Abflüsse könnten als tatsächliche Vorgänge nicht nachträglich ungeschehen gemacht werden.
Hinweis
Der BFH musste sich in diesem Fall zwar nur mit der Frage befassen, wie Zahlungen an den Arbeitnehmer aufgrund eines Buchungsfehlers des Arbeitgebers zu beurteilen sind; die Bedeutung der Entscheidung geht jedoch darüber hinaus. Die letztlich zu klärende Rechtsfrage war, wie zu viel ausbezahlter, aber später zurückerstatteter Arbeitslohn bei der Festsetzung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist.
Es ist hier schon fraglich, ob solche Zahlungen überhaupt zu den Einnahmen bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehören; dazu wird verbreitet die Ansicht vertreten, dass solche Zahlungen keinen hinreichenden Zusammenhang mit diesen Einkünften hätten, weil sie nicht als Entgelt für die Arbeitsleistung anzusehen seien und deshalb außerhalb des Arbeitsverhältnisses vereinnahmt würden (zum Streitstand vgl. u.a. Kirchhof/Söhn, EStG, § 8 Rnrn. B23 f. und § 9 Rnrn. B232 f.). Auch der vorliegende Fall stand im Zeichen dieser Auseinandersetzung.
Wie vielfach auch in anderen Kindergeldfällen kämpften die Beteiligten aber auch hier an der falschen Front. Denn im Kindergeldrecht wird der maßgebliche Jahresgrenzbetrag nicht nur nach den Einkünften, sondern auch nach den Bezügen des Kindes ermittelt (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Und Bezüge liegen hier in Höhe des überzahlten Betrags vor, wenn dieser nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehören sollte; es sind alle Einnahmen zu berücksichtigen, die zur Bestreitung des Unterhalts oder zur Ausbildung des Kindes geeignet oder bestimmt sind und die dem Kind während eines Jahres zufließen (dazu BFH, Urteil vom 16.4.2002, VIII R 76/01, BFH-PR 2002, 299)
Was unter "Zufluss" zu verstehen ist, bestimmt sich nach § 11 Abs. 1 EStG (BFH, Urteil vom 14.5.2002, VIII R 57/00, BFH-PR 2002, 372). Dementsprechend sind Einnahmen auch dann zugeflossen, wenn sie später wieder zurückzuzahlen sind; es kommt nur darauf an, dass das Kind zunächst tatsächlich frei über sie verfügen konnte.
Zu beachten ist allerdings, dass sich die Unterscheidung zwischen Einkünften und Bezügen bei den jeweils berücksichtigungsfähigen Aufwendungen auswirken kann. Für die vorliegende Entscheidung hatte sie jedoch keine Bedeutung, weil das Kind hinsichtlich des ihm zustehenden Arbeitslohns Werbungskosten geltend machen und hinsichtlich des Überzahlungsbetrags noch zusätzlich eine Aufwandspauschale von 360 DM beanspruchen konnte und die Einnahmen den Jahresgrenzbetrag trotzdem überstiegen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.5.2002, VIII R 74/99