Leitsatz
1. Erzielt das Kind durch sein regelmäßiges Ausbildungsverhältnis keine Einkünfte, sind seine Aufwendungen für die vorübergehende, von seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Ausbildungsstätte entfernte Ausbildung nicht nach Reisekostengrundsätzen bei der Ermittlung seiner Einkünfte und Bezüge zu berücksichtigen.
2. Miet- und Verpflegungsmehraufwendungen für die auswärtige Unterbringung des Kindes in Ausbildung sind bereits durch den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG abgegolten.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5, § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 32 Abs. 4 S. 2 und 5, § 63 EStG
Sachverhalt
Der Sohn des Klägers studierte bis zum Diplom im Jahr 2007 Informatik. Vom 03.10.2005 bis Ende März 2006 absolvierte er ein Praktikum bei einem Unternehmen in den USA, das einen Zuschuss von monatlich 1 400 US-Dollar zahlte und – nach seiner Wahl anstatt weiterer 300 US-Dollar – einen Mietwagen zur Verfügung stellte. Während des Praktikums wohnte der Sohn in einem angemieteten möblierten Zimmer. Die Wohnung am Studienort hatte er währenddessen aufgegeben; sein Lebensmittelpunkt befand sich weiterhin im Hause des Klägers.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für 2005 auf, da die Einkünfte und Bezüge die Freigrenze des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG von 7 680 EUR (jetzt 8 004 EUR) überstiegen.
Das FG entschied, der Grenzbetrag sei nicht überschritten, da die Aufwendungen für Verpflegung und Unterkunft in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 S. 2, 4 und 5 EStG und des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG abgezogen werden könnten, weil die Ausbildung entfernt von der regelmäßigen Ausbildungsstätte und der Wohnung im Elternhaus fortgesetzt worden sei (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.03.2009, 8 K 295/06, Haufe-Index 2182016).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.
Ob die Mietwagengestellung gem. einer tatsächlichen Verständigung der Beteiligten als Barlohn oder als Sachbezug zu bemessen gewesen wäre, konnte der BFH offen lassen.
Hinweis
1. Bei der Grenzbetragsprüfung sind Einkünfte und Bezüge des Kindes zu ermitteln und um den ausbildungsbedingten Mehraufwand zu kürzen. Eine präzise Zuordnung (z.B.: Einkünfte oder Bezüge? Werbungskosten oder Ausbildungsaufwand?) ist nur selten erforderlich, wenn sich etwa wegen des Arbeitnehmer-Pauschbetrages oder der Kostenpauschale für Bezüge von 180 EUR verschiedene Summen ergeben.
2. Erhält ein Student eine Vergütung für ein Auslandspraktikum, so ist unerheblich, ob diese zu Einkünften führt und der deutschen Besteuerung unterliegt, da sie anderenfalls als Bezug zu erfassen wäre. Als Werbungs-(oder Ausbildungs-)kosten können dann u.a. Aufwendungen für die Reise ins Ausland, für Fahrten zwischen der dortigen Wohnung und der (Ausbildungs- oder) Arbeitsstätte, für das Visum einschließlich Fahrtkosten sowie für Telefonate, Sprachtest usw. abgezogen werden.
3. Wohnungs- und Verpflegungsmehraufwendungen hat der BFH weder unter dem Gesichtspunkt der echten noch der unechten (= zeitlich beschränkten) doppelten Haushaltsführung anerkannt, weil die Wohnung am Studienort während des Praktikums aufgegeben worden war. Die Aufrechterhaltung der Wohnung und die Weiterzahlung der Miete für das Zimmer im Studentenwohnheim oder einer WG hätte den Abzug der im Ausland angefallenen Kosten hingegen ermöglicht.
4. Den Abzug dieser Aufwendungen nach Reisekostengrundsätzen hat der BFH abgelehnt, weil die für das Praktikum unterbrochene Ausbildung an der deutschen Universität keiner Einkunftsart zuzurechnen sei. Fraglich ist, ob dies anders beurteilt worden wäre, wenn der Student zuvor eine Berufsausbildung abgeschlossen hätte und seine Kosten für das Erststudium daher als Werbungskosten abziehen dürfte (vgl. BFH, Urteil vom 18.06.2009, VI R 14/07, BFH/NV 2009, 1875, BFH/PR 2009, 405) oder sein Erststudium nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 28.07.2011, VI R 7/10 (in diesem Heft S. 379) als durch die spätere Einkunftserzielung angesehen worden wäre.
5. Aufwendungen für Wohnung und Verpflegung am ausländischen Praktikumsort sind auch nicht, wie z.B. die Studiengebühren und Aufwendungen für Bücher, als ausbildungsbedingter Mehraufwand zu kürzen, weil der Jahresgrenzbetrag den erhöhten Lebensbedarf eines auswärts untergebrachten Kindes in Ausbildung bereits berücksichtigt. Dem steht nicht entgegen, dass das Kind selbst derartige Aufwendungen bei seiner Veranlagung nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben abziehen kann. Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge im Hinblick auf den Jahresgrenzbetrag brauchen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht sämtliche Sonderausgaben abgezogen zu werden. Etwas anderes gilt lediglich für Sozialversicherungsbeiträge und vergleichbare Aufwendungen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.06.2011 – III R 28/09