Leitsatz
Allein der Umstand, dass ein sorgeberechtigter Elternteil, der sein minderjähriges Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, für sich und sein Kind Leistungen nach dem SGB II bezieht, rechtfertigt nicht die Übertragung des diesem für sein Kind zustehenden Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf den anderen Elternteil, der den Barunterhalt für das gemeinsame Kind leistet.
Normenkette
§ 32 Abs. 6 Sätze 1, 6 und 8 EStG
Sachverhalt
Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist leibliche Mutter der 1996 geborenen ledigen J, für die sie Barunterhalt leistete. J lebte im Haushalt des sorgeberechtigten Vaters S und war dort polizeilich gemeldet. S bezog für sich und J Leistungen nach dem SGB II.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung für 2013 beantragten die Kläger für J den Abzug des doppelten (vulgo: des "vollen") Freibetrags für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) und des doppelten Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA‐Freibetrag). Das FA lehnte ab: S sei seiner Verpflichtung zum Unterhalt nachgekommen, weil er J Betreuungsunterhalt geleistet habe, der dem Barunterhalt der Klägerin gleichwertig gegenüberstehe.
Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.7.2015, 4 K 4233/14, Haufe-Index 8438866, EFG 2015, 1814).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Kläger als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn
– er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder
– der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.
2. Die Unterhaltspflicht bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf (§ 1610 Abs. 2 BGB), die Eltern haften ihren Kindern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Der andere, nicht betreuende Elternteil hat eine Geldrente zu gewähren. Die gesetzliche Regelung geht mithin (bei getrennt lebenden Eltern) davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat. Liegt das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil und trägt dieser die Hauptverantwortung für das Kind, so erfüllt dieser Elternteil durch die Pflege und Erziehung des Kindes seine Unterhaltspflicht; Betreuung und Barunterhalt sind insoweit gleichwertig.
3. Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 eingeführte Übertragung des Freibetrags bei mangelnder Leistungsfähigkeit des anderen Elternteils soll die Übertragung des Kinderfreibetrags ermöglichen, wenn ein Elternteil gezwungenermaßen allein für den Unterhalt des Kindes aufkommt. Der Geldunterhalt leistende Elternteil kommt aber auch dann nicht allein für den Unterhalt des Kindes auf, wenn der betreuende Elternteil Leistungen nach dem SGB II bezieht.
4. Bei minderjährigen Kindern wird nach § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen. Antragsberechtigt ist insoweit nur der Elternteil, bei dem das Kind gemeldet ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.06.2016 – III R 18/15