Leitsatz
Werden die zur Beseitigung oder Linderung von Unfallfolgen entstandenen Aufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann die infolge des Unfalls von der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlte Verletztenrente (§ 56 SGB VII) aus Vereinfachungsgründen um den dem Kind zustehenden Behinderten-Pauschbetrag gemindert werden. Nur der verbleibende Teil der Rente ist zur Bestreitung des Unterhalts i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bestimmt oder geeignet (Fortentwicklung der Rechtsprechung im Senatsurteil vom 17.12.2009, III R 74/07, BFHE 228, 72, BStBl II 2010, 552).
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 2, § 33b, § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG, § 56 SGB VII, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 69 Abs. 2 SGB IX
Sachverhalt
Der Kläger bezog laufend Kindergeld für seine 1985 geborene Tochter T, die sich 2005 in Ausbildung befand. Neben ihrer Ausbildungsvergütung und Einnahmen aus einer Aushilfstätigkeit erhielt sie von der Unfallkasse aufgrund eines im Jahr 2000 erlittenen Sportunfalls eine Verletztenrente in Höhe von monatlich 199,50 EUR wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 %.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für Januar bis Dezember 2005 wegen Überschreitens des Grenzbetrags auf.
Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.11.2007, 4 K 10515/06 B, Haufe-Index 1970558) gab der Klage statt. Nach seinen Feststellungen beliefen sich die Einkünfte und Bezüge der T im Jahr 2005 auf 7.750,93 EUR. Es war daher der Ansicht, dass T nicht wegen ihrer Ausbildung berücksichtigt werden könne (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), wohl aber wegen behinderungsbedingter Unfähigkeit zum Selbstunterhalt (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG).
Entscheidung
Der BFH berücksichtigte T stattdessen wegen ihrer Berufsausbildung und wies die Revision der Familienkasse als im Ergebnis unbegründet zurück. T habe den Grenzbetrag nicht überschritten, da die als Bezug anzusetzende Unfallrente um den Behinderten-Pauschbetrag in Höhe von 310 EUR zu mindern sei. Die Frage der Berücksichtigung als behindertes Kind hat der BFH offen gelassen.
Hinweis
1. Kinder in der Berufsausbildung wurden bis Ende 2011 nur berücksichtigt, wenn ihre Einkünfte und Bezüge den Grenzbetrag nicht überschritten, der sich im Streitjahr 2005 auf 7.680 EUR und 2011 auf 8.004 EUR belief. Bei behinderten Kindern ist demgegenüber maßgeblich, ob sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln den gesamten notwendigen Lebensbedarf (Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf) bestreiten können.
2.Eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist steuerfrei (§ 3 Nr. 1 Buchst. a EStG), gehört aber im Jahr des Zuflusses vollen Umfangs zu den Bezügen (BFH, Urteil vom 15.10.1999, VI R 182/98, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79, BFH/NV 2000, 376).
3. Die Verletztenrente wird auch gezahlt, um den aufgrund des Unfalls entstehenden Mehrbedarf auszugleichen. Daher ist sie nur insoweit zum Unterhalt und zur Berufsausbildung bestimmt oder geeignet, als die Rentenzahlungen die Kosten übersteigen, die zum Ausgleich der Mehraufwendungen und zur Wiederherstellung der gesundheitlichen Schäden angefallen sind. Die allgemeine Frage, ob Einkünfte und Bezüge um Krankheitskosten zu mindern sind, stellt sich wegen der Zweckbestimmung der Rente insoweit nicht.
4. Im BFH-Urteil vom 17.12.2009, III R 74/07 (BFH/NV 2010, 733, BFH/PR 2010, 169) wurde die Verletztenrente um die Kosten einer Auslandsreise gemindert, die der Therapie unfallbedingter Depressionen diente. Im Besprechungsurteil hat der BFH die Rente mangels konkret dargelegter Aufwendungen "aus Vereinfachungsgründen" um den Behinderten-Pauschbetrag gekürzt, der dem Kind trotz eines GdB von 25 wegen des Rentenbezugs zustand (§ 33b Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.2.2012 – III R 5/08