Leitsatz
Die KleinbetragsVO in der ab dem Jahr 2002 geltenden Fassung ist auch insoweit durch § 156 Abs. 1 AO gedeckt, als danach nicht nur Änderungen zulasten des Steuerpflichtigen, sondern gleichermaßen Änderungen, die an sich zugunsten des Steuerpflichtigen vorzunehmen wären, unterbleiben, wenn die Abweichungen zu den bisherigen Festsetzungen oder Feststellungen bestimmte Bagatellgrenzen nicht erreichen.
Normenkette
Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, § 156 Abs. 1 AO, § 1 Abs. 1 KBV 2002
Sachverhalt
Die Kläger machten eine Spende als Sonderausgaben geltend, reichten aber erst im finanzgerichtlichen Verfahren die entsprechende Zuwendungsbestätigung i.H.v. 30 EUR nach. Da diese zu einer Änderung der Steuerfestsetzung von weniger als 10 EUR geführt hätte, war das FA der Auffassung, die Änderung müsse wegen § 1 Abs. 1 Nr. 1 KBV 2002 unterbleiben.
Das FG gab dagegen der Klage statt und erkannte den Spendenabzug an (Niedersächsisches FG vom 02.03.2010, 16 K 381/09, Haufe-Index 2332620, EFG 2010, 1202). Es begründete sein Urteil damit, dass § 1 Abs. 1 KBV 2002 rechtswidrig und daher nicht anzuwenden sei, da sich diese Vorschrift, soweit sie Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen ausschließe, nicht in den Grenzen der Ermächtigungsgrundlage des § 156 Abs. 1 S. 1 AO 2002 halte.
Entscheidung
Der BFH hat auf die Revision des FA das finanzgerichtliche Urteil aus den oben dargestellten Gründen aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1.§ 1 Abs. 1 Nr. 1 der Kleinbetragsverordnung in der ab dem 01.01.2002 gültigen Fassung (KBV 2002) sieht vor, dass Festsetzungen der ESt nur geändert oder berichtigt werden, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung mindestens 10 EUR beträgt. Die Vorschrift, in der von "Änderung oder Berichtigung" der Steuer gesprochen wird, ist so zu verstehen, dass sie sowohl bei Änderungen zugunsten als auch zulasten des Steuerpflichtigen anzuwenden ist.
2. Dieser Auslegung steht nicht der Wortlaut der Ermächtigungsnorm der KBV 2002 entgegen. Zwar ist § 156 Abs. 1 S. 1 AO 2002 insoweit ungenau gefasst, als er die Ermächtigung für das Absehen von der Steuerfestsetzung davon abhängig macht, dass der festzusetzende Betrag eine zu bestimmende Grenze von höchstens 10 EUR nicht übersteigt.
Damit ist aber nach Auffassung des X. Senats nicht nur der Fall gemeint, dass die sonst vorzunehmende Steuerfestsetzung insgesamt die zu bestimmende Betragsgrenze – von höchstens 10 EUR – nicht übersteigt oder im Fall einer Steueränderung lediglich eine solche zulasten des Steuerpflichtigen verbietet. Die genannte Betragsgrenze bezieht sich vielmehr im Fall einer Steueränderung auf die steuerliche Auswirkung einer ohne die Vorschrift sonst vorzunehmenden Steueränderung.
3. Dieses Ergebnis entspricht nicht nur der Entstehungsgeschichte des § 156 AO 2002, sondern vor allem dessen Sinn und Zweck, nämlich der Vereinfachung und damit der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungsverfahrens. § 1 Abs. 1 S. 1 KBV 2002 hat das Ziel, Kosten des Veranlagungsverfahrens, die außer Verhältnis zum festgesetzten Steuerbetrag oder den betragsmäßigen Auswirkungen eines Änderungsbescheids stehen, zu vermeiden. Im Einzelfall unterbleibende günstige Änderungen müssen dann durch den betroffenen Steuerpflichtigen vor dem Hintergrund dieses übergeordneten Ziels hingenommen werden.
4. Verfassungsrechtliche Probleme ergeben sich auch nicht daraus, dass die KBV 2002 nicht durch einen der in Art. 80 Abs. 1 S. 1 und 4 GG genannten exekutivischen Normgeber erlassen worden ist, sondern durch den parlamentarischen Gesetzgeber – im StEuglG – selbst, da der parlamentarische Gesetzgeber durch dasselbe Gesetz auch die Ermächtigungsgrundlage des § 156 Abs. 1 S. 1 AO 2002 änderte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.02.2011 – X R 21/10