Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1772
Der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wäre mangels unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben von vornherein nicht erfüllt, wenn man bei einem Leerverkauf um den Dividendenstichtag unter Einbeziehung einer ausländischen Depotbank des Leerverkäufers die Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung des Leerkäufers als objektiv rechtmäßig ansehen würde.
Rz. 1773
Einer solchen Sichtweise hat der BGH im Einklang mit den zwischenzeitlich ergangenen gerichtlichen Entscheidungen eine Absage erteilt. Die jeweiligen Steuererklärungen enthielten unrichtige Angaben hinsichtlich des Bestehens der Voraussetzungen für eine Steueranrechnung, da es an einer Erhebung der Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag auf die Dividendenkompensationszahlung fehlt.
Rz. 1774
Das LG Bonn hat darüber hinaus ausdrücklich festgestellt, dass zumindest der nicht erfolgte Steuerabzug auf die Kompensationszahlung offenbarungspflichtig sei und der Steuerpflichtige insoweit nicht nur eine für ihn günstige Rechtsansicht vertreten habe. Insbesondere sei die Vorlage einer Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 oder 3 EStG (VZ 2007–2011) nur eine zusätzliche Anrechnungsvoraussetzung und habe insoweit keine Vollbeweisfunktion. Denn die mit der Steuererstattung bzw. -anrechnung verbundene Rechtsauffassung widerspricht sowohl dem Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen als auch zentralen Grundsätzen des steuerlichen Veranlagungs- bzw. Erstattungsverfahrens.
Rz. 1775
Selbstredend bedarf es der Feststellung von Leerverkäufen. Das LG Bonn stellte hierfür neben Zeugenaussagen insbesondere auf das Dividendenlevel, Handelsdaten, Volumina der Transaktionen und Profitmöglichkeiten ab.
Rz. 1776
Mit Blick auf den in der BFH-Entscheidung gewählten Ansatz der fehlenden Gläubigerstellung ließe sich alternativ auch vertreten, dass die Angaben ohnehin unrichtig seien, da der Leerkäufer bereits gar keine Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erziele. Demnach wäre die Frage der erhobenen Kapitalertragsteuer nicht von Belang. Insoweit wird darauf verwiesen, dass sich hierdurch der Nachweis eines Leerverkaufs ersparen ließe. Allerdings müsste zumindest bei Bezugnahme auf den BFH ein "modellhaft ausgelegtes Gesamtvertragskonzept" nachgewiesen werden; eine wesentliche Erleichterung dürfte hiermit nicht verbunden sein. Jedoch dürfte dieser Ansatz zumindest als Hilfsargument und indiziell bei der Bewertung des Vorsatzes (weiter) herangezogen werden.
Rz. 1777
Einstweilen frei.
Rz. 1778
Der Taterfolg ist die Erlangung der Anrechnungsverfügung. Da diese nicht im Feststellungsverfahren, sondern im Erhebungsverfahren ergeht, handelt es sich dabei um einen sonstigen Steuervorteil i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 2 AO. Die Anrechnungsverfügung stellt einen sonstigen Steuerverwaltungsakt (vgl. § 118 AO) dar, der im Erhebungsverfahren ergeht, also nicht Bestandteil der Steuerfestsetzung ist. Zu Unrecht erfolgte begünstigende Verfügungen der FinB außerhalb der Steuerfestsetzung sind als Erlangung eines sonstigen Steuervorteils zu qualifizieren (s. Rz. 425). Darüber hinaus ist auch in den nach erfolgter Anrechnung ausgezahlten Erstattungsbeträgen ein entsprechender Vorteil zu sehen.