Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1779
Infolge der nunmehr geschaffenen Klarheit durch die strafgerichtliche Rechtsprechung wird sich das Hauptaugenmerk – insbesondere vor dem Hintergrund der Vielzahl unterschiedlichster Beteiligter – auf den subjektiven Tatbestand richten. Ungeachtet der derzeit ergangenen Entscheidungen verbietet sich jedwede Generalisierung bei der Betrachtung des subjektiven Tatbestands.
Rz. 1780
Es bedarf einer in jedem Einzelfall vorzunehmenden Gesamtwürdigung, im Rahmen derer namentlich die Komplexität der Rechtsfrage und die Tatsache, dass zu der bis zum 31.12.2011 geltenden Gesetzeslage von einem erheblichen Teil der Fachliteratur die Auffassung vertreten wurde, dass eine mehrfache Kapitalertragsteueranrechnung aufgrund einer Gesetzeslücke zulässig war, einzubeziehen ist. Zu berücksichtigen ist, dass dieser Schluss auch aus der Begründung des Gesetzgebers zum JStG 2007, mit dem die Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG n.F.) steuerpflichtig gestellt wurde, durchaus zulässigerweise gezogen werden konnte. Darin heißt es auszugsweise:
"Durch die vorgeschlagenen Änderungen sollen die negativen Auswirkungen auf das Steueraufkommen insoweit verringert werden, als das inländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut des Leerverkäufers zur Abführung von Kapitalertragsteuer verpflichtet wird." (Hervorhebungen nur hier.)
Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, die Passage so zu interpretieren, dass der Gesetzgeber im Falle der Einschaltung eines ausländischen Kreditinstituts die Anrechnung nicht an das FA abgeführter Kapitalertragsteuer auf die Dividendenausgleichszahlung bewusst in Kauf genommen hat. Ansonsten hätte er schließlich schon damals eine Regelung geschaffen, durch welche die Steuerausfälle nicht nur "verringert", sondern "verhindert" worden wären. Obgleich dies zwar in objektiver Hinsicht nicht zur Rechtmäßigkeit der Cum-Ex-Geschäfte führt, ist eine solche Interpretationsmöglichkeit ein im Rahmen der Gesamtwürdigung einzustellender Umstand.
Rz. 1781
Ob in einzelnen Fällen die Verantwortlichen dennoch davon ausgingen, zur Anrechnung bzw. Erstattung berechtigt zu sein, ist Tatfrage, die je nach Einzelfall unterschiedlich zu beantworten sein kann. Vorsatzausschließend (oder ggf. auch -begründend) können insoweit bspw. von den Verantwortlichen eingeholte Rechtsgutachten sein. Sofern eine Begutachtung einer bestimmten Steuerstruktur durch eine namhafte Rechtsanwalts- oder Steuerberatersozietät stattgefunden hat und die Gestaltung entsprechend dem in dem Gutachten zugrunde gelegten Sachverhalt umgesetzt wurde, kann den Verantwortlichen – ohne Hinzutreten gegenteiliger Anhaltspunkte – kein Strafvorwurf gemacht werden. Selbstredend muss das Gutachten für den Verantwortlichen auch jeweils Grundlage der Entscheidungsbildung sein. Einen Rückschluss auf die subjektive Sicht ist insbesondere ausgeschlossen, wenn das Gutachten selbst nicht gelesen wurde, das Gutachten wesentliche Aspekte nicht erläutert oder der Inhalt des Gutachtens als offensichtlich unzutreffend wahrgenommen wurde. Dagegen dürften bloße Disclaimer einem Vertrauen auf das rechtmäßige Handeln nicht entgegenstehen, da diese regelmäßig Teil eines Gutachtens sind und sich primär auf haftungsrechtliche Aspekte beziehen. Der Verantwortliche darf dennoch auf die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung vertrauen.
Rz. 1782
Soweit Absprachen zwischen Erwerber und Leerverkäufer bestanden haben und nachgewiesen werden können, die einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Leerverkauf und dem Kauf begründen, und der Erwerber dennoch die Erstattung/Anrechnung beantragte, wird ein vorsätzliches Verhalten im Hinblick auf das BMF-Schreiben vom 5.5.2009 für Zeiträume ab 2009 ggf. in Betracht kommen. Der konkrete Nachweis von Absprachen wird seitens der Ermittlungsbehörden insbesondere anhand von historischem E-Mail-Verkehr, Aktenvermerken sowie im Wertpapierhandel üblichen Chatprotokollen ("Bloomberg chats") zu führen sein.