Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1126.3
Umgekehrt bleibt allerdings fraglich, ob es gerechtfertigt ist, jede bandenmäßige Umsatz- oder Verbrauchsteuerverkürzung – also auch Fälle mit äußerst geringen Hinterziehungsbeträgen – als besonders schweren Fall einzustufen.
De lege lata ist dies der Fall. Nach dem Gesetzeswortlaut erfüllt allein die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern – unabhängig von der Höhe der Steuerverkürzung – das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO. In § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO fehlt ein Hinweis auf eine bestimmte Verkürzungssumme. Diese hätte der Gesetzgeber jedoch problemlos einfügen können, wie § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO gerade zeigt. Hinzu kommt, dass § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO bereits unabhängig von der Steuerart eine erhöhte Strafandrohung für eine besonders hohe Hinterziehungssumme bestimmt. Es wäre sinnlos, die Umsatz- und Verbrauchsteuern noch einmal gesondert aufzuführen, diese aber gleichzeitig auf ein besonders hohes Maß zu beschränken. Denn ihre Hinterziehung hätte bereits nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO ein Regelbeispiel verwirklicht. Daraus muss gefolgert werden, dass die Verkürzung von Umsatz- und Verbrauchsteuern als Bande unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrages das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO erfüllen soll.
Ausgehend von der Gesetzesbegründung und dem Strafzweck der Norm erscheint es aber nicht erforderlich, für Umsatz- und Verbrauchsteuerverkürzung kleinen und kleinsten Ausmaßes einen Strafrahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren zu eröffnen. Im Gegenteil ist es angebracht, in Fällen kleiner und kleinster Schadenssummen den erhöhten Schuldwurf des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO regelmäßig zu verneinen und somit grundsätzlich nicht den Strafrahmen des Regelbeispiels zu eröffnen. Denn Strafzweck des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO ist in erster Linie die Sanktionierung des besonders hohen Schadens, den die Bundesrepublik Deutschland durch die Verkürzung der beiden dort genannten Steuerarten typischerweise erleidet. Die Umsatzsteuer macht anteilig einen erheblichen Teil der Steuereinnahmen aus (s. Rz. 1126.2). Schätzungen zufolge entgehen der Bundesrepublik durch Umsatzsteuerverkürzungen jährlich ca. 15 Mrd. Euro an Umsatzsteuer, also fast 10 % der jährlichen Gesamteinnahmen aus dieser Steuerart. Diesem Zweck würde eine erhöhte Strafandrohung für Delikte mit kleinen und kleinsten Hinterziehungsbeträgen aber gerade nicht gerecht. Die Verursachung eines besonders hohen fiskalischen Schadens kann also nicht als Grund für die Subsumtion auch von geringen Steuerhinterziehungen unter § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO herangezogen werden.
Es verbleibt die mögliche Absicht des Gesetzgebers, so früh als möglich entstehenden Bandenstrukturen entgegenzuwirken, als Grund für eine erhöhte Strafzumessung auch in Kleinfällen. Doch auch dieser Gesetzeszweck ist fragwürdig. Die bandenmäßige Begehung wird i.d.R. mit einer erhöhten Strafbarkeit bedroht, da mit ihr eine besondere Schadensträchtigkeit für das verletzte Rechtsgut und eine erhöhte Fortsetzungsgefahr verbunden werden. Jedenfalls das Argument der besonderen Schadensträchtigkeit trägt in Fällen von kleinen und kleinsten Schadenssummen aber gerade nicht. Geringen Schadenssummen wohnt keine besondere Schadensträchtigkeit für die staatlichen Gesamteinnahmen aus Umsatz- und Verbrauchsteuern inne.
Hinzu kommt, dass § 370a AO a.F. – an dessen Stelle § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO getreten ist – bestimmten Vorgehensweisen der Organisierten Kriminalität mit besonderen Strafandrohungen begegnen sollte. Die bandenmäßige – und damit systematische – Steuerhinterziehung wurde als klassische Vorgehensweise der Organisierten Kriminalität angesehen. Die derart hinterzogenen Steuern erhöhten die Finanzmacht der Organisierten Kriminalität und damit deren ohnehin schon hohe Gefährlichkeit. Wenn es sich im Einzelfall nun aber gerade nicht um einen solchen der Organisierten Kriminalität handelt und dieser auch ansonsten nicht gleichkommt, dann ist der Strafzweck des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO ebenso wenig erfüllt wie es der Strafzweck seiner Vorgängervorschrift, des § 370a AO a.F., gewesen wäre.
Rz. 1126.4
Richtigerweise ist damit erst dann der erhöhte Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO eröffnet, d.h. die Indizwirkung des Regelbeispiels also erst dann zu bejahen, wenn eine Steuerverkürzung erreicht ist, die ihrer Höhe nach zwar noch nicht an § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO heranreicht, jedoch einen minimalen oder unerheblichen Betrag übersteigt. Hiervon dürfte bei einem Hinterziehungsbetrag von 2.500 EUR auszugehen sein.
Zwar ergibt sich aus dem Vergleich zwischen § 370 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5 AO, dass der Betrag an den des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht heranzureichen braucht. Der Schuldvorwurf hinsichtlich einer bandenmäßigen Umsatzsteuerverkürzung ist für sich schon höher anzusiedeln als der anderer Steuerhinterziehungen, so dass es nicht primär auf die Höhe der Steuerverkürzung ankommt.
Jedoch ist im Gegenzug ein besonderer, den erhöhten Strafrahmen rechtfertigender Schuld...