Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Allgemeines
Rz. 1888
Die Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Kryptowerten folgt den allgemeinen Grundsätzen. Besonderheiten, sind zum Teil darin begründet, dass viele vorgeschaltete Fragen der Besteuerung bislang ungeklärt waren oder weiterhin ungeklärt sind. Darüber hinaus ist die Auswirkung der technischen Eigenschaften auf die Praxis insbesondere im Rahmen von Nacherklärungen und Selbstanzeigen immens. Die anfängliche, mutmaßlich in mangelnder Expertise wurzelnde Zurückhaltung der Behörden bei der Ermittlung von aus Kryptowerten entstandenen Steuern gehört der Vergangenheit an. Seit längerem arbeiten die Behörden an der Schaffung von Datenbanken, in denen durch Identifizierung der Inhaber von Wallets puzzleartig die Pseudonymität aufgehoben wird. Die Datengrundlage liefern Sammelauskunftsersuchen an die Börsen, die, aus Angst vor einem durch bekanntgewordene Ermittlungsmaßnahmen ausgelösten Bank run, in den meisten Fällen vollumfänglich kooperieren. Aufgrund der verpflichtenden KYC-Prüfungen können so umfangreiche Datenbestände erlangt werden, deren Wert für die Behörden mit dem von Steuer-CDs vergleichbar sein wird, ohne vergleichbare Kritik an der Rechtstaatlichkeit hervorzurufen. Auch die Nachverfolgung von dezentralen Transaktionen wird durch die Zusammenarbeit der Behörden mit Anbietern entsprechender Tools wie Chainalysis, BlackBag und T3K-Forensics wahrscheinlicher. Aufgrund der dauerhaften Speicherung in der Blockchain ist mit einer weiteren Zunahme von steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Kryptowerten zu rechnen.
b) Folgen der unklaren Rechtslage
Rz. 1888.1
Eine Erklärung ist unrichtig bzw. unvollständig, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die nach der in den Verwaltungsvorschriften und im BStBl. II zum Ausdruck kommenden Auffassung der Finanzverwaltung für die Steuerfestsetzung erheblich sind (Lehre von typisierten Empfängerhorizont). Da lange Zeit Unklarheit über die steuerliche Bewertung von Kryptowerten herrschte und die Auffassung der Finanzbehörden dem Steuerpflichtigen nicht bekannt sein konnte, kann für Erklärungen bis zur Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 10.5.2022 am 9.6.2022 nicht ohne weiteres von einer Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit ausgegangen werden. Dies gilt umso mehr, als dass die Erstveröffentlichung einer Verwaltungsauffassung wie auch eine Rechtsprechungsänderung nicht zur Unrichtigkeit bereits abgegebener Erklärungen und auch zu keiner Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO führt. In Bezug auf Kryptowerte folgt daraus, dass aufgrund der unklaren Rechtslage in Bezug auf die steuerliche Erheblichkeit, in Bezug auf die Verwirklichung sowohl des objektiven wie subjektiven (dazu unter Rz. 1888.6) Tatbestands des § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2 AO vor der Veröffentlichung des BMF-Schreibens Zweifel bestehen. Aufgrund der finanzgerichtlichen Entscheidungen, die eine Steuerpflicht anzweifelten, durften Steuerpflichtige entsprechend von einer vertretbaren Rechtsauffassung ausgehen. Erklärungen, die auf Grundlage dieser Auffassung Veräußerungsgewinne nicht auswiesen, sind m.E. nicht unrichtig.
c) Praktische Herausforderungen
Rz. 1888.2
Eine Herausforderung, die sich bei der Erklärung und insbesondere im Rahmen von Nacherklärungen (§ 153 AO vgl. auch § 371 Rz. 812 ff.) und Selbstanzeigen (§§ 371, 378 Abs. 3 AO) stellt, ist die Ermittlung der richtigen und vollständigen Transaktionshistorie des Mandanten. Das vielfältige Angebot an Börsen und Projekten, deren teilweise Schnelllebigkeit und die einfache Registrierung haben dazu geführt, dass insbesondere Mandanten die frühzeitig in Kryptowerte investiert haben, besteuerungsrelevante Transaktionen auf einer schwer überschaubaren Anzahl von Börsen vorgenommen haben. Häufig sind Zugänge verloren gegangen oder wurden vergessen. Besonders in der Anfangszeit, als die steuerliche Relevanz noch fern schien, wurden von Börsen teilweise keine (ausreichenden) Transaktionslisten zur Verfügung gestellt. Aus dem Umstand, dass sämtliche Transaktionen dauerhaft in der Blockchain gespeichert sind und der bereits erwähnten Praxis der Behörden, Daten über Steuerpflichtige zu sammeln, entspringt die Gefahr, dass das FA von vergessenen oder verloren geglaubten und nicht erklärten Kryptowerten Kenntnis erlangt. Doch auch vollständige Transaktionshistorien stellen hohe Anforderungen an den spezialisierten Berater. Die Vielzahl der abgeschlossenen Geschäfte macht eine manuelle Darstellung in den meisten Fällen unmöglich. Aus diesem Grund ist der Rückgriff auf steuerliche Auswertungs-Tools (Cointracking, Koinly, Blockpit – s. schon Rz. 1888) unerlässlich. Aufgrund der Vielzahl an Anlagemodellen, die teilweise bestehenden Finanzprodukten nachempfunden, teilweise gänzlich neu konzipiert wurden, können auch die von den Auswertungs-Tools ausgegebenen Erklärungen nicht ungeprüft übernommen werden. Die Bewertung einzelner Vorgänge erfordert neben der steuerlichen auch eine umf...