Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1753
In ihrer Grundstruktur sind Cum-Ex-Geschäfte um den Dividendenstichtag so gestaltet, dass ein Leerverkäufer dem Erwerber kurz vor dem Dividendenstichtag (dem Hauptversammlungstag) die Aktie mit dem Dividendenanspruch (cum Dividende) verkauft. Der Leerverkäufer ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht Eigentümer der Aktie. Er selbst deckt sich erst nach dem Dividendenstichtag beim Aktieninhaber ein. Da die Dividende dem Aktieninhaber als am Dividendenstichtag tatsächlichen Eigentümer zusteht, wird sie an ihn ausgeschüttet. Der Leerverkäufer erwirbt die Aktie dann ex Dividende. In Erfüllung seiner Pflicht aus dem schuldrechtlichen Grundgeschäft verschafft er dann dem Erwerber das Eigentum an der Aktie und leistet zusätzlich eine Dividendenausgleichszahlung, da er sich ja zur Lieferung cum Dividende verpflichtet hat. Da der Aktieninhaber zum Dividendenstichtag noch (zivilrechtlicher und wirtschaftlicher) Eigentümer der Aktie ist, behält die Aktiengesellschaft auf die Dividende 25 % Kapitalertragsteuer ein, die an das FA abgeführt wird. Seine Depotbank erteilt dem Aktieninhaber hierüber eine Steuerbescheinigung. Unter Vorlage der Steuerbescheinigung beantragt der Aktieninhaber dann bei seinem FA die Anrechnung bzw. Erstattung der auf die Dividende abgeführten Kapitalertragsteuer. Der Erwerber erhält ebenfalls eine Steuerbescheinigung und zwar von seiner depotführenden Bank. Tatsächlich wurde jedoch nicht ein zweites Mal Kapitalertragsteuer an den Fiskus abgeführt.
Rz. 1754
Der Grund hierfür ist folgender: Zwar ist seit 2007 auch die Dividendenausgleichszahlung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG steuerpflichtig und unterliegt nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung dem Kapitalertragsteuereinbehalt. Nach dieser Vorschrift war jedoch für die Abführung der Kapitalertragsteuer die für den Verkäufer der Wertpapiere den Verkaufsauftrag ausführende Stelle zuständig, allerdings nur, sofern es sich um ein inländisches Kreditinstitut handelte. In den Leerverkaufsgestaltungen um den Dividendenstichtag, die Gegenstand der derzeitigen Ermittlungsverfahren sind, war depotführende Bank des Leerverkäufers jedoch regelmäßig ein ausländisches Kreditinstitut, welches nicht zum Kapitalertragsteuerabzug verpflichtet war. Demgegenüber lag die Zuständigkeit für die Erstellung der Steuerbescheinigung bei der depotführenden Bank des Erwerbers (§ 45a Abs. 3 Satz 2 EStG a.F.). Da diesem die Aktie (zum geminderten Kurswert nach dem Dividendenstichtag) zzgl. der Netto-Dividendenausgleichszahlung gutgeschrieben wurde, sah es aus Sicht der Depotbank des Erwerbers so aus, als sei bereits Kapitalertragsteuer einbehalten (und abgeführt) worden. Sie stellte folgerichtig die Steuerbescheinigung aus. Der Erwerber beantragte dann unter Vorlage der (zweiten) Steuerbescheinigung bei dem für ihn zuständigen FA die Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung.
Beispiel
Erwerber E erwirbt von Leerverkäufer LV am 1.12. eine Aktie zum Börsenkurs von 1.000. LV ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht Eigentümer der Aktie. Die Lieferung soll am 3.12. über die ausländische Depotbank von LV erfolgen. Am 2.12. findet die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft statt. Es wird eine Dividende von 100 beschlossen. Am 3.12. erwirbt LV die Aktie vom Aktieninhaber I zum aufgrund der Ausschüttung geringeren Börsenkurs von 900. Die Aktiengesellschaft hatte vorher Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 einbehalten und die Nettodividende von 75 an I ausgezahlt. Die Depotbank stellt I eine Steuerbescheinigung hierüber aus, mit der I bei seinem FA die Anrechnung beantragt. LV liefert die Aktie dann an E und zahlt an diesen zusätzlich eine Dividendenausgleichszahlung von 75. Die inländische Depotbank des E sieht nur die "Nettodividende" und stellt E eine Steuerbescheinigung über 25 abgeführte Kapitalertragsteuer aus. Unter Vorlage dieser Steuerbescheinigung beantragt E bei seinem FA ebenfalls Anrechnung von Kapitalertragsteuer i.H.v. 25.
In vorstehendem Beispiel wird deutlich, dass der wirtschaftliche Vorteil bei LV entsteht, da dieser von E 1.000 erhält, aber nur 975 an Aufwand hat. Nach den Vorwürfen der Ermittlungsbehörden in den derzeit anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sowie nach den Erkenntnissen des 4. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Bundestags verbleibt der Gewinn nicht beim Leerverkäufer, sondern wird aufgrund von Absprachen zwischen den Akteuren aufgeteilt.