Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 288
Tatbestandsmäßig i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt nur, wer gegenüber den FinB (s. Rz. 251 ff.) – anders als bei Abs. 1 Nr. 1 nicht gegenüber anderen Behörden – zur Mitteilung steuerlich erheblicher Tatsachen rechtlich verpflichtet ist und diese Pflicht verletzt. Im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt es sich also um ein Sonderdelikt (s. Rz. 87 ff.). Die Nichtangabe von Drittlohn gegenüber dem Arbeitgeber entgegen § 38 Abs. 4 Satz 3 EStG führt folglich nicht zur Strafbarkeit nach Abs. 1 Nr. 2.
Rz. 289
Zahlreiche Erklärungs-, Mitteilungs-, Offenbarungs-, Anzeige-, Auskunfts- und ähnliche Pflichten sind in der AO (vgl. §§ 34, 35, 90, 93, 93a, 93b, 97, 135, 137–139, §§ 149, 153, 200 AO) und in den einzelnen Steuergesetzen (§ 25 Abs. 3, § 41a Abs. 1, § 45a Abs. 1 EStG; § 31 Abs. 1a KStG; § 18 Abs. 1 UStG; § 14a GewStG; §§ 30, 31, 33, 34 ErbStG; § 18 Abs. 1 GrEStG) normiert, die der Sachverhaltsvermittlung an die FinB dienen. Zollrechtliche Anmelde- und Gestellungspflichten regelt der UZK samt DA (zur Gestellungspflicht s. Rz. 327 ff., 218 ff., 1526 ff.). Zu Einzelfällen s. Rz. 314 ff. Insolvenzrechtlich begründete Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten sind dagegen keine Pflichten i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Auch die Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen nach §§ 138a ff. AO begründen keine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. § 116 Abs. 1 Satz 1 AO normiert ebenfalls keine Offenbarungspflicht nach Abs. 1 Nr. 2, sondern ist nur für § 258 StGB relevant. Aus der Vorschrift des § 42 AO ergeben sich ebenso wenig eigenständige strafbewehrte Anzeigepflichten i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Offenbarungspflichten müssen sich nicht notwendig unmittelbar aus fomellen Gesetzenergeben. Sie können auch aus Rechtsverordnungen oder aus Verwaltungsakten, etwa der Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO, folgen (zu den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG s. ausführlich Rz. 27 f.), soweit dies steuerrechtlich zulässig ist. Wird eine Befreiung durch Verwaltungsakt erteilt – etwa nach § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG – ist dessen formelle Wirksamkeit, nicht die materielle Rechtmäßigkeit entscheidend; § 42 AO ist nicht einschlägig.
Rz. 289.1
Das Fahren mit einem unversteuerten Fahrzeug begründete bis zum Inkrafttreten des § 15 Abs. 1 KraftStDV ab dem 20.7.2017 keine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO für die Kraftfahrzeugsteuer, da keine Rechtspflicht gegenüber den FinB zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen bestand. Die in § 15 Abs. 1 KraftStDV ab 2017 geregelte Erklärungspflicht hält der BGH zutreffend für nicht ausreichend, um eine strafrechtlich relevante Pflicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu begründen. Versteht man § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als Blankettstraftatbestand, muss sich die strafbewehrte Pflicht nach Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG aus einem Parlamentsgesetz ergeben (s. Rz. 22, 25.1). Der BGH geht zwar trotzdem davon aus, dass die konkrete Erklärungspflicht nicht unmittelbar aus dem formellen Gesetz folgen muss, sondern sich aus einer das Gesetz konkretisierenden Rechtsverordnung ergeben kann. Es fehlt im KraftStG aber an einer hinreichenden Ermächtigung an den Verordnungsgeber für die Statuierung einer Erklärungspflicht. Das Ergebnis ändert sich nicht, wenn § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als Tatbestand mit normativen Merkmalen (Rz. 27) verstanden wird. Dann muss steuerrechtlich (nicht notwendig steuergesetzlich) eine wirksame Pflicht zur Abgabe einer Steuerklärung bestehen. Auch das setzt nach Art. 80 Abs. 1 GG voraus, dass das Wesentliche – das "ob" einer Erklärungspflicht zur Steuererhebung – im formellen Gesetz geregelt ist. Zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO s. Rz. 252.
Rz. 290
Den einzelnen Steuergesetzen ist auch zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Offenbarungspflicht erfüllt werden muss (z.B. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO). Pflichtwidrig i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt nicht nur, wer die gebotene Mitteilung an die FinB ganz unterlässt, sondern auch derjenige, der die vorgeschriebene Erklärung zu spät abgibt. Denn zu einer Steuerverkürzung kommt es auch dann, wenn die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wird (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Die Erklärungspflicht besteht aber auch nach Versäumung der Erklärungsfrist fort. Nach einer Schätzung bleibt die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ebenfalls bestehen (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO). Ist eine Erklärungsfrist nicht bestimmt, scheidet eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aus. Die Missachtung steuerrechtlicher Formvorschriften führt nicht zur Erfüllung des Tatbestands.