Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 336
Der Anzeigepflicht des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO unterliegt, wer nachträglich erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung zum Zeitpunkt der Abgabe unrichtig oder unvollständig war und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Dazu gehören auch die Fälle, in denen der Stpfl. nachträglich erkennt, dass seine Angaben deshalb unvollständig sind, da sie der FinB die rechtliche Überprüfung des Sachverhalts nicht hinreichend ermöglichen (s. Rz. 245). § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO betrifft somit alle unrichtigen steuererheblichen Erklärungen im Zeitraum zwischen Abgabe und Ablauf der Festsetzungsfrist. Dazu werden auch die erbschaftsteuerlichen Anzeigen gezählt. Eine Berichtigungspflicht besteht zudem in den Fällen, in denen durch Dritte falsche Daten für den Stpfl. nach § 93c AO elektronisch übermittelt wurden, da die Angaben nach § 150 Abs. 7 Satz 2 AO als Angaben des Stpfl. gelten. Der Erbe muss auch eine wegen Demenz des Erblassers unwirksame Steuererklärung berichtigen. Eine Berichtigungspflicht des Erben besteht zudem, wenn der Testamentsvollstrecker unrichtige Angaben in der Erbschaftsteuererklärung gemacht hat. Eine Berichtigungspflicht des Grundstückserwerbers ist gegeben, wenn der Notar unzutreffende Angaben in Bezug auf die Grunderwerbsteuer-Bemessungsgrundlage gemacht hat.
Nur unrichtige Angaben sind zu berichtigen. Steht dem in ein Umsatzsteuerkarussell eingebundenen Stpfl. aufgrund seiner Gutgläubigkeit zum Zeitpunkt der Lieferung das Recht auf Vorsteuererstattung zu und macht er es in seiner Anmeldung geltend, entsteht deshalb keine Berichtigungspflicht, wenn er nachträglich bösgläubig wird.
§ 153 Abs. 1 Nr. AO setzt voraus, dass es durch die unrichtige oder unvollständige ursprüngliche Erklärung entweder zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Zweifelhaft ist es deshalb, ob unrichtige Erklärungen im Stundungs- oder Erlassverfahren erfasst sind. Dagegen spricht, dass sie nicht zu Verkürzungen von Steuern, sondern zu einer ungerechtfertigten Vorteilserlangung führen. Andererseits zeigt der Wortlaut des § 42 Abs. 2 AO, dass die Steuerverkürzung vom Gesetzgeber als nicht gerechtfertigter Steuervorteil bezeichnet wird, was dann auch umgekehrt gelten sollte. Für eine Erstreckung der Berichtigungspflicht auch auf diese Fälle spricht vor allem der Sinn der Vorschrift, insbesondere da nach § 153 Abs. 3 AO ausdrücklich eine Anzeigepflicht besteht, wenn die Voraussetzungen einer Steuervergünstigung nachträglich wegfallen. Dann muss auch eine Berichtigungspflicht bestehen, wenn die Voraussetzungen von Anfang an nicht vorlagen, aber falsch erklärt wurden. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG steht einer solchen Auslegung nicht entgegen, da es sich nicht auf das Steuerrecht (hier: § 153 AO) und dessen Auslegung erstreckt (s. Rz. 27 f.). Gleiches gilt für die Anrechnung oder Erstattung nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer.
Parallel dazu führt die (nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO unstreitig gebotene) Nichtberichtigung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen zum Eintritt eines Verkürzungserfolgs i.S.d. § 370 Abs. 1 AO: Zwar ist der Erfolg durch die unrichtige Voranmeldung bereits eingetreten (§ 370 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 168 Satz 1 AO); die unterlassene Berichtigung der Voranmeldungen, die nicht mit der Jahresumsatzsteuererklärung identisch ist, führt aber dazu, dass der Vorteil erhalten bleibt, der in der ursprünglichen, zu niedrigen Festsetzung liegt. Auch insoweit handelt es sich also um einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil, der dem Täter belassen wird (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO), wenn die Berichtigung nicht vorgenommen wird (s. Rz. 350).