Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1416
Der BGH hatte schon vor Ergehen der EuGH-Entscheidung in Sachen Italmoda – auf Grundlage der bisherigen EuGH-Rspr. bzgl. der Versagung des Vorsteuerabzuges – vertreten, dass dem Stpfl. immer dann die Berechtigung zum Vorsteuerabzug zu versagen sei, wenn er – "im unionrechtlichen Sinne" – selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist. Diese Rspr. kann durch die Italmoda-Entscheidung – auch für Fälle der Versagung der Steuerbefreiung – als bestätigt angesehen werden.
Der Geltendmachung des Vorsteuerabzuges nach § 15 UStG und der Beanspruchung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG kommt demnach der Erklärungswert zu, im Zeitpunkt der Ausführung der Lieferung (s. Rz. 1365) nicht von der Einbeziehung in eine "Mehrwertsteuerhinterziehung" gewusst zu haben und auch nicht fahrlässig (zur Frage der Auslegung des "Wissenmüssens" s. Rz. 446 ff., 1408) in Unkenntnis gewesen zu sein. Macht der Stpfl. dennoch einen entsprechenden Umsatz als steuerfrei geltend oder zieht er einen Vorsteuerbetrag ab, so verwirklicht er den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, indem er unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht. Ist er zwischenzeitlich, also nach Leistungsbewirkung, bösgläubig geworden, so ist seine Umsatzsteueranmeldung, mit welcher der Vorsteuerabzug bzw. die Steuerbefreiung geltend gemacht wird, jedoch nicht unrichtig.
Rz. 1416.1
Für die Feststellung des subjektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung kommt es demgegenüber auf den – späteren – Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung an. Dabei muss sich der Vorsatz auch auf das "Wissen müssen" im Zeitpunkt der Ausführung der Lieferung erstrecken. In diesem Zeitpunkt reicht indes ein "Wissen müssen" nicht mehr aus. Ob der Täter den für eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderlichen Eventualvorsatz hat, bestimmt sich nach den allgemeinen strafrechtlichen Kriterien (s. Rz. 610 ff.). Verlangt man für ein "Wissen müssen" im Sinne der EuGH-Rspr. mindestens Leichtfertigkeit (s. Rz. 446 ff., 1408 ff.), so wird derjenige, der bereits bei Leistungsbewirkung leichtfertig hinsichtlich der Einbeziehung in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem handelte, regelmäßig auch bei Erklärungsabgabe leichtfertig handeln, wenn er sich hinsichtlich derselben Leistung auf eine Steuerbefreiung oder den Vorsteuerabzug beruft. Eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO ist dann verwirklicht.
Sofern für steuerliche Zwecke die Versagung des Vorsteuerabzugs bzw. der Steuerbefreiung darauf beruht, dass in analoger Anwendung des § 166 BGB eine Zurechnung der Kenntnis oder verschuldeten Unkenntnis eines Angestellten stattfindet, der infolge der vorgesehenen Arbeitsteilung und Organisation des Betriebs im Rahmen seiner Zuständigkeit Kenntnis von den betreffenden Umständen erhalten hat (dazu Rz. 1415), folgt daraus noch keine strafrechtliche Verantwortung der für die Abgabe der Steuererklärung zuständigen Person. Grundsätzlich handelt der Geschäftsführer oder der beauftragte Steuerberater, der die jeweilige Steueranmeldung übermittelt, insofern weiter gutgläubig und strafrechtlich nicht verantwortlich, jedoch kommt in diesen Fällen eine mittelbare Täterschaft des Angestellten gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB in Betracht.
Rz. 1417
Bei entsprechender Kenntnis von den in der Lieferkette nachfolgenden Geschäften kann sich ein Beteiligter neben der täterschaftlichen Handlung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO durch Geltendmachung der Vorsteuer bzw. Steuerfreiheit auch wegen Beihilfe zu den Umsatzsteuerhinterziehungen der anderen Mitglieder in der Lieferkette strafbar machen. Ein hinreichendes Fördern der Haupttat kann bspw. in Form des Ankaufs von Waren und der Erteilung von Gutschriften gesehen werden. Für den Gehilfenvorsatz genügt, dass der Beteiligte die wesentlichen Merkmale der Haupttat kennt. Entscheidend ist insofern, dass er die Dimensionen der Steuerverkürzung erfassen konnte und sie billigend in Kauf genommen hat. Dabei ist eine Beihilfe i.d.R. nur hinsichtlich der in der Lieferkette vorangegangen Steuerhinterziehungen denkbar. Eine Beihilfe des Rechnungsempfängers zur Steuerhinterziehung des Rechnungsausstellers wird i.d.R. nicht vorliegen, weil dessen Verhalten lediglich eine Vorbereitungshandlung für die eigene Steuerhinterziehung des Rechnungsempfängers war.
Konkurrenzrechtlich ist die Beihilfe in diesen Fällen nicht als mitbestrafte Vortat der täterschaftlich begangenen Steuerhinterziehung zu werten. Vielmehr stehen die Taten zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit, da die Steuerverkürzungen unterschiedliche Steueransprüche betreffen.