Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 301
Die Unterlassungstat ist nach allgemeinen Regeln nur dann strafbar, wenn die Vornahme der erwarteten Handlung dem Täter tatsächlich möglich war. Ansonsten hätte er keine Möglichkeit, den tatbestandlichen Erfolg abzuwenden (s. Rz. 571 f.). Die nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gebotene Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen wird dem Täter, ggf. unter Inanspruchnahme der Hilfe eines Beraters, aber regelmäßig möglich sein; eine Ausnahme ist bspw. denkbar, wenn sich der Erklärungspflichtige in Haft befindet. Unmöglichkeit liegt aber dann nicht vor, wenn der Betreffende die auf die Hinterziehung von Umsatzsteuer gerichteten Geschäfte unter Einschaltung anderer Personen weiter steuert und stets über alle Einzelheiten der während seiner Haft getätigten Geschäfte informiert ist.
Die Erfüllung der Erklärungspflicht wird ebenfalls nicht durch eine fehlende oder unvollständige Buchführung ausgeschlossen, da der Stpfl. dem FA zumindest die für eine angemessene Schätzung notwendigen Besteuerungsgrundlagen mitteilen muss. Hinzu kommt, dass derjenige, der durch sein eigenes vorwerfbares Verhalten nicht in der Lage ist, den steuerlichen Erklärungspflichten zu genügen, nicht bessergestellt werden darf als jemand, der zunächst die für die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten notwendigen Unterlagen erstellt hat. Nach den Grundsätzen der omissio libera in causa greift deshalb bei Vorsatz auf die Herbeiführung des späteren Unvermögens, die steuerlichen Pflichten erfüllen zu können, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gleichwohl. Der strafrechtliche Vorwurf wird dadurch vorverlagert; er liegt darin, die eigene Handlungsunfähigkeit vorsätzlich (§ 370 Abs. 1 AO) oder grob fahrlässig (§ 378 AO) herbeigeführt zu haben. Ist die Buchführung für das Strafverfahren sichergestellt oder beschlagnahmt worden, muss sich der Stpfl. darum kümmern, die benötigten Unterlagen bei der Ermittlungsbehörde zu sichten bzw. zu kopieren.
Demgegenüber meint der 1. Strafsenat des BGH, dass es der st. Rspr. des Senats entspreche, "das Tatbestandsmerkmal der ‚Pflichtwidrigkeit‘ vornehmlich auf den Verstoß gegen eine steuerlich normierte Erklärungspflicht zu beziehen, daneben aber die Fähigkeit des Betroffenen, die Erklärungspflicht erfüllen zu können, nicht eigens zu prüfen", was insbesondere bei vorgeschobenen Geschäftsführern erkennbar sei. Das widerspricht in dieser Allgemeinheit den Grundsätzen der Unterlassungsdelikte. Genauso wenig wie derjenige durch Unterlassen tötet, der das Opfer gar nicht retten kann, unterlässt es derjenige, Angaben zu machen, der dazu nicht in der Lage ist, wenn nicht die omissio libera in causa greift. Zur Hinterziehung von Tabaksteuer, wenn der Täter die Steuerzeichen nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht selbst beantragen kann, s. Rz. 361.