Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Schrifttum:
Blumers, Strafen wegen Steuerhinterziehung, wistra 1987, 1; Esskandari/Bick, Strafzumessung bei Steuerhinterziehung. Zur Rechtsprechung des 1. Strafsenats des BGH, AO-StB 2013, 154; Gehm, Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung des BGH zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung, ZWH 2016, 96; Hillenbrand, Strafzumessung: Wichtig ist, was hinten rauskommt!, ZAP 2019, 575; Kindshofer, Tagessatz-Festsetzung ohne Rücksicht auf das Steuergeheimnis?, PStR 2002, 68; Kohlmann, § 40 Abs. 2 StGB in Steuerstrafverfahren bedeutungslos?, in FS Spendel, 1992, S. 257 ff.; Radtke, Begrenzungen tatrichterlicher Strafzumessung?, DRiZ 2018, 250; Tipke, Das Einkommen als zentraler Begriff des öffentlichen Schuldrechts, JuS 1985, 345; Wieczorek, Bestimmung der Tagessatzhöhe und Steuergeheimnis, wistra 1987, 173.
Ergänzender Hinweis: Nr. 75–78 und 85–86 AStBV (St) 2019 (s. AStBV Rz. 75 ff., 85 f.)
1. Allgemeines
Rz. 1005
Strafe ist "missbilligende hoheitliche Reaktion", welche an ein sozialethisches Unwerturteil anknüpft. Sie dient den Zwecken der Spezialprävention (erzieherische Einwirkung auf den Täter) und der Generalprävention (Abschreckung der Allgemeinheit). Im Steuerstrafrecht kommt der Generalprävention aus fiskalischen Gründen besondere Bedeutung zu. In der Strafzumessung selbst dürfen generalpräventive Erwägungen hingegen nur im Ausnahmefall eine Rolle spielen. Diesbezüglich hat der BGH klargestellt, dass der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher neben dem Angeklagten nur straferschwerend berücksichtigt werden darf, "wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist". Art und Höhe der Strafe haben sich nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB an der Schuld des Täters zu orientieren. Für die Bemessung der Strafe ist die Tatschuld maßgeblich, die sich in erster Linie aus der Schwere der Rechtsgutsverletzung und dem Grad der persönlichen Schuld des Täters ableiten lässt. Dabei darf sich die Strafe nicht von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein. Das Schuldprinzip (keine Strafe ohne Schuld) hat Verfassungsrang.
Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, Mindest- und Höchststrafen (Strafrahmen) so festzusetzen, dass die möglichen Schuldstufen einer Tat angemessen berücksichtigt werden können. Die von der Rspr. vertretene Spielraumtheorie eröffnet dem Tatrichter innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens einen gewissen Beurteilungsspielraum, in dem die Strafe an der unteren Grenze schon schuldangemessen und an der oberen Grenze noch schuldangemessen ist, da es für jede Tat nicht nur eine schuldangemessene Strafe gibt. Verlässt der Tatrichter diesen ihm eingeräumten Strafzumessungsspielraum, kann das Revisionsgericht eingreifen.
2. Freiheits- oder Geldstrafe
Rz. 1006
Die Steuerhinterziehung ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht (§ 370 Abs. 1 AO). In besonders schweren Fällen gilt der erhöhte Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO, der eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht. Die zeitige Freiheitsstrafe beträgt im Fall der "einfachen" Steuerhinterziehung nach den allgemeinen Vorschriften mindestens einen Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) und höchstens fünf Jahre. Bei Steuerhinterziehungen im besonders schweren Fall ist die Mindesthöhe der Freiheitsstrafe auf sechs Monate und das Höchstmaß auf zehn Jahre erhöht. Bei einer in Tatmehrheit begangenen Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 1 AO liegt die Höchstgrenze im Falle einer Freiheitsstrafe bei 15 Jahren (§ 54 Abs. 2 StGB); im Falle einer Geldstrafe bei 720 Tagessätzen (s. Rz. 1010). Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten soll nur ausgesprochen werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder in der Person des Täters dies unerlässlich machen (§ 47 Abs. 1 StGB). Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung soll ...