Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 676
Erfasst der Stpfl. die steuerlichen Folgen seines Verhaltens voll, meint er aber zu Unrecht, dieses Verhalten sei gleichwohl grundsätzlich nicht verboten oder ausnahmsweise erlaubt, liegt ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB vor. Die fälschliche Annahme, das eigene Verhalten sei zwar Unrecht, aber straffrei, ist gänzlich unbeachtlich (s. Rz. 646).
Beispiel
Kaufmann B eröffnet ein Handelsunternehmen, in dem er mehrere Angestellte beschäftigt. Die Geschäftseröffnung meldet er der FinB nicht. Er leistet zu den festgelegten Terminen keine Steuervorauszahlungen, obwohl er weiß, dass er nach dem UStG und EStG dazu verpflichtet ist. Er meint, eine solche Handlungsweise sei kein "Hinterziehen" von Steuern, da dazu gehöre, dass er gegenüber der FinB in täuschender Weise eine falsche Auskunft gebe.
B ist sich des sachlichen Gehalts aller Tatumstände bewusst und erfasst auch seine steuerlichen Pflichten. Er wertet nur den vom Strafgesetz verwendeten Begriff "Hinterziehen" falsch. Eine derartige falsche Wertung ist jedoch unbeachtlich.
Rz. 677
Bei Vorliegen eines Verbotsirrtums (s. Rz. 676) handelt der Täter ohne Schuld und bleibt straffrei, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte (§ 17 Satz 1 StGB). Der Täter kann sich auch über die Existenz oder die rechtlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes irren (s. Rz. 648 zum sog. Erlaubnisirrtum).
Beispiel
A betreibt ein volkswirtschaftlich wichtiges Unternehmen. Er kommt in wirtschaftliche Schwierigkeiten und kann seinen Betrieb nur aufrechterhalten, wenn er die fälligen Umsatzsteuervorauszahlungen an die FinB hinausschiebt. Daher gibt A keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Er weiß zwar, dass dies Steuerhinterziehung ist, meint jedoch, sie sei unter den gegebenen Umständen zur Rettung seines Betriebes erlaubt.
A hätte die Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben und ggf. Stundung beantragen müssen (vgl. § 220 AO). Er verkennt die Grenzen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB), indem er eine fehlerhafte Interessenabwägung vornimmt. A befand sich deshalb in einem vermeidbaren Erlaubnisirrtum nach § 17 StGB .
Rz. 678
Unvermeidbar soll der Verbotsirrtum dann sein, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles und nach der seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung seines Gewissens bzw. durch Einsatz all seiner geistigen Erkenntniskräfte die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Verhaltens nicht zu gewinnen vermochte. Im Steuerstrafrecht geht es dabei weniger um eine Gewissensanspannung oder eigene Überlegungen, sondern um die Pflicht, bei Zweifeln oder Unkenntnis der Rechtslage sachkundigen Rat einzuholen. Auftretende Zweifel dürfen nicht einfach zurückgestellt werden. Deshalb handelt derjenige auf eigene Gefahr, der bei einer streitigen Rechtsfrage ohne zumutbare Erkundigung bei zuverlässiger Stelle oder ohne Prüfung des Gewichts der einander entgegenstehenden Meinungen sich diejenige Auffassung zu eigen macht, die für ihn günstiger ist. Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltschaftlichen Rat begründet die Unvermeidbarkeit des Irrtums nicht in jedem Fall, insb. nicht bei Gefälligkeitsgutachten; bei komplexen Sachverhalten ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich. Hat ein Täter Anlass zur Prüfung gehabt, aber gleichwohl nichts unternommen, so muss weiter festgestellt werden, welche Auskünfte er erhalten hätte, wenn er sich darum gekümmert hätte. Zweifelt der Täter ernsthaft an der Rechtslage, ist allerdings schon fraglich, ob überhaupt ein Irrtum gegeben ist. Denn dann rechnet der Täter immerhin damit, dass er Unrecht begehen könnte.
Rz. 679
An die Erkundigungspflicht werden hohe Anforderungen gestellt (s. § 378 Rz. 65 ff. und 81 ff. für den Steuerberater). Die Rspr. geht i.d.R. von der Vermeidbarkeit des Irrtums aus.
Beispiele
- Wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums bei einer Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung bei eigentlich erstrebter Zollersparnis hat das FG München die Inanspruchnahme des Täters für Hinterziehungszinsen abgelehnt. Dem Täter war zwar bewusst, dass durch seine falschen Angaben in der Zollanmeldung folgerichtig auch die Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt wurde. Entscheidend ist für das FG, dass die festzusetzende Einfuhrumsatzsteuer sofort als Vorsteuer hätte abgezogen werden können, so dass die Zahlung ohne Sicherheitsleistung aufgeschoben werden konnte (§ 21 Abs. 3 UStG). Vgl. zum Kompensationsverbot Rz. 534.
- In den Parteispendenfällen (s. Rz. 235) wurde ein Verbotsirrtum mit der überzeugenden Begründung verneint, dass es auf der Hand liege, dass falsche Spendenbescheinigungen nicht zur Erlangung von Steuervorteilen benutzt werden dürften. Auch die irrtümliche Annahme, Finanzbeamte oder eine höhere FinB seien in die unzulässige Spendenpraxis eingeweiht gewesen, führt nicht zur Straflosigkeit.
- Der Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft ist wegen § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV vermeidbar. V...