Rz. 655
Über die Person des Entdeckers macht § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO keine Angaben. Dementsprechend kommen nach h.M. als taugliche Tatentdecker nicht nur Amtsträger einer Behörde (z.B. FinB, Steuer- oder Zollfahndung, StA, Polizei oder die in § 116 AO genannten anzeigepflichtigen Stellen), sondern auch Dritte (Privatpersonen) in Betracht. Erforderlich ist jedoch, dass bereits durch die Kenntnis der Person von der Tat eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Betroffenen wahrscheinlich ist.
Rz. 656
Dies ist dann der Fall, wenn der Dritte die Tat in ihrem strafrechtlichen Sinngehalt erfasst hat (s. Beispiel in Rz. 648) und wenn damit zu rechnen ist, dass der Dritte seine Kenntnis an die zuständigen Behörden weiterreicht. Es muss also eine konkrete Aufdeckungsgefahr bestehen.
Rz. 657
Nach diesen Kriterien zählen nicht zum Kreis der tauglichen Tatentdecker Vertrauenspersonen oder sonstige dem Täter nahestehende Personen (Angehörige oder Steuerberater), da bei ihnen nicht damit zu rechnen ist, dass sie die Tat zur Verfolgung bringen.
Rz. 658
Da auch bei Tatbeteiligten (Mittätern, Anstiftern und Gehilfen) im Regelfall nicht damit zu rechnen ist, dass diese wegen der Gefahr der Aufdeckung ihres eigenen Tatbeitrags die Tat offenbaren werden, scheiden sie als Entdecker i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO aus.
Rz. 659
Ebenso macht die Offenbarung jahrelanger Steuerverfehlungen gegenüber dem eigenen Anwalt oder Mitgesellschaftern diese nicht notwendig zu tauglichen Tatentdeckern.
Rz. 660
Als Tatentdecker scheiden auch aus Personen, die bevollmächtigt sind, für den Stpfl. tätig zu werden, d.h. wenn sich die Anzeige des Dritten als eine im Auftrag des Stpfl. abgegebene Selbstanzeige (s. Rz. 84 ff.) darstellt. Der BGH hat dies angenommen für den Fall, dass sich ein Gesellschafter seinen Mitgesellschaftern durch Hingabe einer als Selbstanzeige bezeichneten Aufstellung seiner Veruntreuungen offenbart und diese daraufhin auch in seinem Namen (nach § 153 AO) die unrichtigen Angaben berichtigen.
Der BGH (a.a.O.) führte hierzu aus:
"Als Tatentdecker auszuscheiden haben jedenfalls solche Personen, die zum Vertrauenskreis des Täters gehören oder die bevollmächtigt sind, für ihn tätig zu werden. Das erhellt schon daraus, daß er die Selbstanzeige nicht persönlich erstatten muß, sondern sie auch von Dritten, die er vom Sachverhalt in Kenntnis gesetzt hat, erstatten lassen kann (vgl. dazu BGH v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373, 374; BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; vgl. Hübner aaO Rdn. 20 zu § 371). Nach den Urteilsfeststellungen liegt es nahe, daß der Angeklagte seine Mitgesellschafter vom gesamten Umfang seiner Veruntreuungen in Kenntnis gesetzt hat und mit der Hingabe seiner als Selbstanzeige überschriebenen schriftlichen Erklärung und der zur Vorlage beim Finanzamt und der Staatsanwaltschaft bestimmten eidesstattlichen Versicherung davon ausging, daß diese die Finanzbehörden auch für ihn von seinen Steuerverfehlungen unterrichten würden. Die Mitgesellschafter handelten dann unbeschadet ihrer Verpflichtung nach § 153 AO auch mit Willen und auf Veranlassung des Angeklagten. Ihre Anzeige müßte dann ebenso angesehen werden, als ob der Angeklagte einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder eine sonstige Person seines Vertrauens beauftragt hätte, für ihn tätig zu werden."
Rz. 661
Demnach ist eine Tatentdeckung durch Privatpersonen i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur ausnahmsweise dann denkbar, wenn aufgrund persönlicher Feindschaft, Rache oder ähnlicher Motivation mit einer Weitergabe der Informationen an die FinB zu rechnen ist. Selbst dann ist die praktische Relevanz gering, da die FinB die Voraussetzungen dieses Ausschlussgrundes beweisen muss.
Rz. 662
Behält die Vertrauensperson, auf deren Verschwiegenheit sich der Täter verlassen kann, zunächst ihr Wissen um die Tat für sich und entschließt sie sich – nach Wegfall der Vertrauensgrundlage – zu einem späteren Zeitpunkt zur Erstattung einer Selbstanzeige, so hat diese Sinnesänderung für den Täter nicht den Verlust des Selbstanzeigerechts zur Folge. Denn in diesem Fall ist nicht die Entdeckung der Tat, sondern die veränderte Situation, die Beendigung des Vertrauensverhältnisses, Rachegefühle usw., der eigentliche Anlass dafür, dass sich der Täter plötzlich der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt sieht, die seine Freiwilligkeit ausschließt. Eine Entdeckungsgefahr, die jedoch nicht in den in § 371 Abs. 2 AO aufgeführten Tatsachen ihren Grund findet, führt nach dem Willen des Gesetzes nicht zum Ausschluss der in § 371 AO in Aussicht gestellten Straffreiheit.
Beispiel 51
B, Buchhalter der Firma V GmbH & Co. KG seit 1969, stellt bald nach Beginn seines Eintritts in die Firma fest, dass diese für das Jahr 1967 die monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldunge...