Rz. 237
Unter der Bezeichnung "dolose Teilberichtigung" werden jene Fälle erörtert, in denen der Täter einen Teil seiner falschen Angaben nur deshalb berichtigt, um dadurch seine wahren Verfehlungen zu verdecken bzw. um weitere Verfehlungen bewusst nicht offenlegen zu müssen. Nach der Neufassung des § 371 Abs. 1 AO ist eine dolose Teilselbstanzeige mangels vollständiger Korrektur der unrichtigen Angaben unwirksam (s. Rz. 201). In der Praxis stellt sich gleichwohl die Problematik, dass sich zum Zeitpunkt der Überprüfung der Wirksamkeit der Selbstanzeige durch die Ermittlungsbehörden oder die Gerichte in aller Regel überhaupt nicht feststellen lässt, ob der Stpfl. im Rahmen seiner Nacherklärung vollständige oder nur teilweise Angaben gemacht hat. Regelmäßig wird sich für die Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Abgabe der Nacherklärung der Umfang der gemachten Angaben und die mögliche Existenz weiterer Schwarzgeldkonten in irgendeinem Staat überhaupt nicht überprüfen lassen. Die Unvollständigkeit der Angaben wird zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige daher regelmäßig nicht erkannt werden. Dies hat zur Folge, dass die Selbstanzeige – trotz objektiver Unvollständigkeit – zunächst wie eine vollständige Selbstanzeige behandelt wird.
Rz. 238
Wird die Unvollständigkeit der Selbstanzeige nicht erkannt, wird sie als vermeintlich vollständig anerkannt. Wird die Unvollständigkeit dagegen zu einem späteren Zeitpunkt erkannt und wurde das Strafverfahren seinerzeit nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, kann ein erneutes Ermittlungsverfahren gegen den Täter eingeleitet werden, da § 170 Abs. 2 StPO nicht zu einem Strafklageverbrauch führt. Stpfl., die eine dolose Teilselbstanzeige erstatten, droht daher bis zum Eintritt der Strafverfolgungsverjährung die Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Durch die Bekanntgabe der Einleitung des ursprünglichen Ermittlungsverfahrens wurde die Verjährung nach § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB unterbrochen. Dies hat nach § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB zur Folge, dass die Verjährung von Neuem beginnt. Mit dem Tag der Bekanntgabe der Einleitung des ursprünglichen Ermittlungsverfahrens läuft demnach die fünfjährige – bzw. in besonders schweren Fällen die fünfzehnjährige (§ 376 Abs. 1 AO) – Verjährungsfrist von Neuem. Wird die Unvollständigkeit der Selbstanzeige vor Ablauf der Strafverfolgungsverjährung entdeckt, ist die teilweise Berichtigung im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Stpfl. zu berücksichtigen, da er durch die Nachentrichtung der Steuer den Schaden jedenfalls zum Teil wiedergutgemacht hat.
Rz. 239
Wurde das ursprüngliche Strafverfahren jedoch nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt oder durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen – da bspw. ein Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO vorlag –, so ist bzgl. der von der (unwirksamen) Selbstanzeige umfassten Taten Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG) eingetreten. Für die Einstellung nach § 153a StPO ergibt sich dies aus Abs. 1 Satz 5 der Norm, wonach die Tat nicht mehr als Vergehen – was die einfache Steuerhinterziehung ist – verfolgt werden kann, sobald die Auflage erfüllt wurde. Die wichtigste Wirkung der materiellen Rechtskraft eines Urteils besteht darin, dass eine neue Strafverfolgung gegen denselben Täter wegen derselben Tat unzulässig ist (ne bis in idem). Dem Täter, der eine dolose Teilselbstanzeige erstattete, die jedoch nach § 371 Abs. 2 AO unwirksam war, droht damit im Fall des Verfahrensabschlusses nach § 153a StPO bzw. durch rechtskräftiges Urteil selbst bei nachträglicher Feststellung der tatsächlichen Unvollständigkeit der ursprünglichen Selbstanzeige wegen dieser Tat keine Strafverfolgung mehr. Dieses Ergebnis ist die Kehrseite des weit gefassten Tatbegriffs (Besteuerungsart/Stpfl./Besteuerungszeitraum). Dieses Verständnis des Tatbegriffs eröffnet einem rechtskundigen Steuerhinterzieher die Möglichkeit, den Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung bewusst in seine Hinterziehungsstrategie einzubeziehen und den Strafklageverbrauch zu missbrauchen.
Es ist umstritten, ob durch eine dolose (Teil-)Selbstanzeige eine weitere Steuerhinterziehung verwirklicht wird. Nach hier vertretener Auffassung verwirklicht der Stpfl., der eine dolose (Teil-)Selbstanzeige abgibt, jedenfalls dann keine erneute Steuerhinterziehung, wenn er nicht konkludent miterklärt, dass seine Erklärung vollständig sei. Insoweit wird es maßgeblich auf die Umstände im Einzelfall ankommen. Er geht jedoch das Risiko ein, dass die Unvollständigkeit erkannt wird und die Selbstanzeige unwirksam ist.