Rz. 253
Für Steuerhinterzieher, deren Buchführung mangelhaft oder unvollständig ist, stellt sich die Frage, ob sie nicht wenigstens dadurch wirksam Selbstanzeige erstatten können, dass sie der FinB Tatsachen mitteilen, die dieser eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ermöglichen.
Diese Frage ist durchaus umstritten. Überwiegend wird sie selbst dann bejaht, wenn die Buchführung derart "im Argen" liegt, "dass die Einnahmen und Ausgaben nicht rekonstruiert werden können", während nach a.A. die Erstattung einer Selbstanzeige bei fehlenden Aufzeichnungen ausgeschlossen sein soll.
Rz. 254
Der BGH hat bei seinen Ausführungen zur Abschaffung der sog. gestuften Selbstanzeige (s. Rz. 150) zugleich zu erkennen gegeben, dass er eine Selbstanzeige auf der Basis einer Schätzung für wirksam erachtet, wenn dem Stpfl. zunächst eine genau bezifferte Selbstanzeige nicht möglich ist und er im Rahmen seiner Schätzung alle erforderlichen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen anhand der ihm bekannten Informationen berichtigt, ergänzt oder nachholt. Erst kürzlich hat der BGH diese Auffassung unter Hinweis auf die ständige Rspr. erneut bestätigt und ausgeführt:
"Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist".
Diese Angaben müssen in jedem Fall so geartet sein, dass die FinB auf ihrer Grundlage in der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen. Genügen die Angaben – bei Anwendung eines strengen Maßstabs – diesen Anforderungen nicht, liegt nach Ansicht des BGH keine wirksame Selbstanzeige vor.
Rz. 255
Die eigene Stellungnahme zu diesem Meinungsstreit, in dem sich beide Seiten auf den fiskalischen Zweck der Selbstanzeigeregelung berufen, hat vom Gesetzeswortlaut und vom Sinn und Zweck auszugehen. Danach kann grds. nicht mehr, aber auch nicht weniger gefordert werden, als dies bei Abgabe der entsprechenden Steuererklärung der Fall ist (s. Rz. 159 ff.).
Auch bei Abgabe von Steuererklärungen ist die schätzungsweise Angabe der Besteuerungsgrundlagen möglich. Der Stpfl. hat insoweit nach bestem Wissen die Angaben (z.B. über den Umsatz oder den Wareneinsatz, Löhne, Aufschläge oder über den Verbrauch und den Vermögenszuwachs in den fraglichen Besteuerungsabschnitten) zu machen, die der FinB eine angemessene Schätzung ermöglichen (s. grds. zu den steuerlichen Schätzmethoden § 370 Rz. 481 ff.).
Es ist deshalb unschädlich und widerspricht auch nicht dem Vollständigkeitsprinzip, wenn die in der Selbstanzeige enthaltenen Angaben auf einer Schätzung des Anzeigenden beruhen, die der FinB "ohne langwierige Nachforschungen" (s. Rz. 161) eine annähernd zutreffende (Berichtigungs-)Veranlagung ermöglichen.
Rz. 256
Auch in den Fällen, in denen eine Vollschätzung notwendig ist, insb. also, wenn die Buchführung völlig unbrauchbar ist, ist die Möglichkeit der Selbstanzeige nicht grds. ausgeschlossen (zur bußgeldrechtlichen Ahndung vgl. § 379 AO, s. § 379 Rz. 65 ff.). Hierfür spricht auch der Gesetzeszweck des § 371 AO, der darauf abzielt, unbekannte Steuerquellen aufzutun. Den Gesetzesmaterialien lässt sich Gegenteiliges nicht entnehmen. Allerdings wird hier zu beachten sein, dass die vom Anzeigenden gelieferten Schätzungsgrundlagen "ohne besondere Schwierigkeiten" durch eigene Ermittlungen des FA ergänzt werden können.
Rz. 257
Mit Blick auf den strafrechtlichen Charakter der Selbstanzeige ist aber zu beachten, dass die steuerlichen Schätzungsgrundsätze (insb. die Sicherheitszuschläge oder die Bemessung nach den obersten Werten der Richtsatzsammlung) nicht auf die Erfordernisse der Selbstanzeige übertragen werden können. Es müssen deshalb solche Angaben für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige ausreichen, die eine strafprozessuale Schätzung und damit eine Verurteilung wegen § 370 AO ermöglichen (s. dazu grds. § 370 Rz. 486).
Rz. 258
Eine geringe Fehlschätzung zu eigenen Gunsten bzw. zum eigenen Nachteil geht dabei nach diesseitiger Ansicht nicht zu Lasten des Täters. Dieser Grundsatz gilt weiterhin auch nach der Neufassung des § 371 AO (s. dazu bereits Rz. 220 ff.).
Rz. 259
Eine erhebliche Differenz zwischen geschätztem und tatsächlich hinterzogenem Betrag führt hingegen zu einer unwirksamen Teilselbstanzeige (s. Rz. 205 ff., 226). Im Zweifel sollte eine Schätzung deshalb tendenziell höher ausfallen, um die Wirksamkeit der Selbstanzeige nicht zu gefährden. Hierzu kann mit einem Sicherheitszuschlag gearbeitet werden, der umso geringer ausfallen kann, je belastbarer die Schätzgrundlage im Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige bereits ist.