Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 123
In minder schweren Fällen gilt gem. § 373 Abs. 1 Satz 2 AO ein reduzierter Strafrahmen (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Ein minder schwerer Fall soll nach der Gesetzesbegründung z.B. bei bandenmäßigem Schmuggel in Fällen anzunehmen sein, die nicht der typischen Organisierten Kriminalität zuzurechnen sind.
Rz. 123.1
Sofern ein strafschärfendes Merkmal i.S.v. § 373 AO hinzutritt, das die Einfuhrabgabenhinterziehung als Schmuggel qualifiziert – etwa Gewerbsmäßigkeit (§ 373 Abs. 1 AO) –, entfaltet der Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO (sechs Monate bis zehn Jahre), wenn er ohne das qualifizierende Merkmal anzuwenden wäre, Sperrwirkung, so dass bei einem Schmuggel "in großem Ausmaß" ein minder schwerer Fall i.S.v. § 373 Abs. 1 Satz 2 AO (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt.
Ein solcher liegt jedenfalls bei einem Schmuggel in organisierten Vertriebsstrukturen nicht vor, da für derartige Fälle typischer organisierter Kriminalität gerade der erhöhte Strafrahmen des § 373 AO geschaffen wurde (s. Rz. 121).
Rz. 123.2
Eine Steuerverkürzung in besonders großem Ausmaß i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (s. § 370 Rz. 1098 ff. m.w.N.) liegt nach der Rspr. bei einem Hinterziehungsbetrag von mehr als 50.000 EUR, einheitlich sowohl im Falle des positiven Tuns wie des Unterlassens (zur Rspr.-Änderung insoweit s. § 370 Rz. 1099.1 f.) vor. Dabei ist es unerheblich, ob diese Wertgrenze durch eine Tat oder durch mehrere gleichgeartete Taten überschritten wird.
Bei einer Einfuhrabgabenverkürzung in Millionenhöhe kommt eine Bewährungsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe infrage (s. auch Rz. 130).
Rz. 124
Neben allgemeinen Strafzumessungserwägungen (s. § 370 Rz. 1029 ff.) dürfte ein minder schwerer Fall daher im Einklang mit der früheren Rspr. anzunehmen sein, wenn die Waren, bzgl. derer Einfuhrabgaben verkürzt wurden, nicht in den freien Verkehr gelangt sind.
Rz. 125
Beispiel 9
Der Angeklagte war u.a. über zwei Firmen in die Lieferung von Textilien aus Asien nach Italien eingebunden, die zwar nach außen unter Zwischenschaltung der Firmen des Angeklagten abgewickelt wurden, tatsächlich aber von Anfang an für den Besteller und Empfänger in Italien bestimmt waren. Dadurch wollte der italienische Importeur, da die italienischen Kontingente erschöpft waren, während in Deutschland noch freie Quoten vorhanden waren, die günstigere Verzollung zum Kontingentzollsatz statt zum Regelzollsatz erreichen. Die im Dreiecksverkehr zwecks Erlangung der Zollbegünstigung getätigten Lieferungen waren also reine Scheingeschäfte. Der Angeklagte ließ die Waren zu Unrecht bei der Einfuhr steuerfrei nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1993 abfertigen. Dadurch wurde Einfuhrumsatzsteuer von insgesamt ca. 800.000 EUR nicht erhoben.
Das LG hatte den Angeklagten bzgl. der Textilimporte wegen gewerbsmäßiger Einfuhrabgabenhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1, § 373 Abs. 1 AO in 53 Fällen verurteilt.
Der BGH hat den Strafausspruch aufgehoben, da das LG zu Unrecht auf die Höhe der verkürzten Steuern abgestellt habe. Dabei sei nicht bedacht worden, dass die Steuerforderungen des deutschen Fiskus nur formal entstanden seien. Die eingeführten Waren gelangten zu keinem Zeitpunkt in den wirtschaftlichen Verkehr im Erhebungsgebiet, sondern wurden nach Italien an den Endverbraucher geliefert. Die Entlastung von der Einfuhrumsatzsteuer bei Ausfuhr der Waren sei hier aus formalen Gründen nicht möglich gewesen. Dies sei aber bei der Strafzumessung bei den verschuldeten Auswirkungen der Tat zu berücksichtigen. Zudem sei die Ausnutzung der Zollkontingente anderer Mitgliedstaaten der EU bei Erschöpfung der zugeteilten Kontingente im eigentlichen Bestimmungsland für sich betrachtet nicht strafbewehrt. Aus diesen Gründen liege auch die Anwendung des erhöhten Strafrahmens des § 370 Abs. 3 AO fern.
Rz. 126
Auch wenn der Schmuggel unter Einsatz von Verdeckten Ermittlern, V-Leuten oder Lockspitzeln insbesondere im Zusammenhang mit einer fast durchgehenden Observation erfolgt (s. auch Rz. 169), ist an eine Strafmilderung zu denken.
Rz. 126.1
Bei einer unzulässigen Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler oder V-Personen ist aber inzwischen ein Paradigmenwechsel eingetreten. Während die frühere Rspr. auch insoweit einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK annahm, der bei den Rechtsfolgen zu kompensieren war, indem nur ein bestimmter Teil der an sich schuldangemessenen Strafe abgezogen wurde (sog. Strafzumessungslösung), hatte sich bereits der EGMR vom 23.10.2014 dagegen ausgesprochen.
Mit Urteil vom 10.6.2015 hat der 2. Strafsenat des BGH sodann den Rspr.-Wandel vollzogen und bei einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Strafverfahrenshindernis anerkannt und das Verfahren eingestellt (s. auch ...