Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 136
Täter oder Gehilfen des Schmuggels haften für die verkürzte Einfuhrabgaben- und Steuerschuld gem. § 71 AO. Der Umstand der Haftung für verkürzte Steuern nach § 71 AO als steuerrechtliche Folge jeder Steuerstraftat bedarf beim Täter keiner ausdrücklicher Erörterung bei der Strafzumessung, es sei denn, der Täter spielte im Gesamtgeschehen nur eine untergeordnete Rolle und war am wirtschaftlichen Erfolg der Tat nur im geringen Umfang beteiligt.
Rz. 136.1
Zur Berücksichtigung der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Schmuggelorganisation nach § 71 AO s. auch § 370 Rz. 1553.
Rz. 136.2
Ein Lkw-Fahrer, der Waren i.S.d. TabStG in das Steuergebiet "verbringt" (s. Rz. 97 f.), wird Steuerschuldner gem. § 23 TabStG auch dann, wenn die Waren ohne sein Wissen in dem Fahrzeug versteckt worden sind. Der Fahrer, der zunächst eine Steuerstraftat gestanden, dann aber widerrufen hatte, kann dann abgabenrechtlich als Gesamtschuldner für die verkürzte Tabaksteuer in Haftung genommen werden, ohne dass die Inanspruchnahme des offenbar in Polen ansässigen Hintermannes des Schmuggels im Wege der Amtshilfe fremder Behörden hätte in Betracht gezogen werden müssen (Auswahlermessen).
Rz. 136.3
Wer als Besitzer von in Deutschland unversteuerten Zigaretten verpflichtet ist, Tabaksteuer zu entrichten, kann für diese Steuer nicht zugleich durch Haftungsbescheid nach § 71 AO in Anspruch genommen werden. Das hat der BFH entschieden. Nach Ansicht des BFH war das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Inanspruchnahme des K als Haftungsschuldner nach § 71 AO möglich ist, obwohl K nach den Feststellungen des FG Steuerschuldner gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG war. Der Senat des BFH hält daran fest, dass sich Steuer- und Haftungsschuldnerschaft gegenseitig ausschließen.
Die Entscheidung spiegelt das Dilemma, dass oft der genaue Transportweg der Zigaretten nur schwer feststellen ist und auch die Beteiligten häufig nicht über alle Einzelheiten der Beschaffung Bescheid wissen. Diese praktischen "Probleme" rechtfertigen jedoch nach Wegner keinen Systemwechsel in der AO durch richterrechtliche Rechtsfortbildung. Vielmehr sei es Aufgabe des Gesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen.
Zur neueren BFH-Rspr. zur Steuerschuldnerschaft von Personen bzgl. geschmuggelter Zigaretten s. auch § 370 Rz. 1532 ff.; § 374 Rz. 118.1).
Rz. 136.4
Zum Erlöschen der Zollschuld bei unrechtmäßig in das Zollgebiet der Union eingeführte Waren und Beschlagnahme und Einziehung ist aktuell die grundlegende Entscheidung des EuGH vom 7.4.2022 (s. nachst. Beispiel) ergangen.
Beispiel 8
Der Vorlage des litauischen obersten VG lag ein typischer Schmuggelfall zugrunde: Am 22.9.2016 wurden drittländische Zigaretten vorschriftswidrig über die belarussisch-litauische Grenze gebracht und in Litauen in Besitz genommen. Am selben Tag wurden die Zigaretten in Litauen von Grenzbeamten beschlagnahmt. Im Januar 2017 wurden gerichtlich die Beschlagnahme und die Vernichtung der Zigaretten angeordnet, die im September 2017 erfolgte.
Der EuGH entschied in Auslegung des Art. 124 Abs. 1 Buchst. e Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, dass eine Zollschuld erlischt, wenn Waren beschlagnahmt und anschließend eingezogen werden, nachdem sie bereits unrechtmäßig in das Zollgebiet der EU eingeführt wurden.
Das Erlöschen der Zollschuld stehe aber in keiner Weise der Verhängung von Sanktionen für die Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften entgegen. Nach Art. 42 Abs. 1 UZK sei jeder Mitgliedstaat nämlich verpflichtet, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften vorzusehen, und gem. Art. 124 Abs. 2 UZK gelte die Zollschuld für die Zwecke der Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften als nicht erloschen, wenn die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder das Bestehen einer Zollschuld nach dem Recht eines Mitgliedstaats die Grundlage für die Festlegung der Sanktionen sind.
Das Erlöschen der Zollschuld aus dem in Art. 124 Abs. 1 Buchst. e Verordnung (EU) Nr. 952/2013 vorgesehenen Grund führe nicht zum Erlöschen der Verbrauchsteuerschuld und der Mehrwertsteuerschuld für unrechtmäßig in das Zollgebiet der EU eingeführte Waren.
Da die betreffenden Waren im vorliegenden Fall beschlagnahmt und eingezogen wurden, nachdem sie i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Buchst. d Richtlinie 2008/118/EG in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden waren, bleiben die Verbrauchsteueransprüche bestehen, da das Erlöschen der entsprechenden Zollschuld insoweit ohne Bedeutung ist.
Daher kann neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem...